40 Jahre Cap Anamur Die ersten Retter der Boatpeople

Köln · Die Hilfsorganisation Cap Anamur wird 40 Jahre alt. Am Anfang ging es um Bootsflüchtlinge aus Vietnam. Seither gab es Projekte in mehr als 60 Ländern.

 Mit dem Anlegen in Hamburg wollte die „Cap Anamur II“ 1986 die Aufnahme aller 358 Boatpeople in Deutschland erreichen.

Mit dem Anlegen in Hamburg wollte die „Cap Anamur II“ 1986 die Aufnahme aller 358 Boatpeople in Deutschland erreichen.

Foto: Cap Anamur/Jürgen Escher

Die letzte Reise des Cap- Anamur-Gründers Rupert Neudeck führte 2015, ein Jahr vor seinem Tod, auf die italienische Insel Lampedusa, eines der Hauptziele der afrikanischen Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer. „Und ich wusste, dass er denkt: Das Ganze wiederholt sich. Es hat sich nichts geändert“, erinnert sich seine Frau Christel. 1979 hatten die Neudecks zusammen mit Freunden, darunter dem Nobelpreisträger Heinrich Böll, den Verein Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte gegründet. Dessen erstes Ziel: die vietnamesischen Boatpeople zu retten, die in kleinen Booten über das Südchinesische Meer fliehen wollten.

Aber doch – es hat sich etwas geändert gegenüber damals. Heute sind weltweit 70 Millionen Menschen auf der Flucht, vor 40 Jahren waren es zehn Millionen. Und die schließlich mehr als 10 000 Bootsflüchtlinge, die von der „Cap Anamur“ und ihren beiden Folgeschiffen gerettet wurden, kamen damals als Kontingentflüchtlinge ohne langwieriges Asylverfahren in Deutschland unter. Aber als Bayern 1986 aus der Vereinbarung mit den Ländern ausstieg, nahm die „Cap Anamur II“ Kurs auf Hamburg, um die Aufnahme aller 358 Boatpeople an Bord zu erzwingen. Das schlägt dann doch wieder einen Bogen zur Gegenwart und der Sea- Watch-Kapitänin Carola Rackete. Wie auch die damalige Idee, aus der Hilfe für die Bootsflüchtlinge ein europäisches Projekt zu machen. „Das funktioniert bis heute nicht.“

Aber Christel Neudeck ist auch mit 76 Jahren nach all den Erfahrungen und Schwierigkeiten mit ihrem Urteil glasklar: „Man darf Menschen nicht ertrinken lassen. Das ist nicht möglich in einer humanitären Gesellschaft.“ Ob diese Flüchtlinge dann alle nach Deutschland kommen müssten, sei eine andere Frage. „Aber wenn man Menschen ertrinken lässt, ist das der Untergang des Abendlands.“

Das gilt für sie heute wie damals. Dass die Menschen, die Ende der 1970er Jahre vor dem kommunistischen Regime in Vietnam flohen, Teilen der linken Bewegung suspekt waren, weil diese noch Jahre zuvor den Kommunistenführer Ho Chi Minh verehrt hatte, konnte Christel Neudeck nie verstehen.

Seine Räume hat der Verein von Günter Wallraff gemietet

Den Einsätzen für die Vietnamflüchtlinge folgten schon bald erste Hilfsaktionen von Cap Anamur an Land. Seit den Anfängen vor 40 Jahren hat der Kölner Verein, der in Ehrenfeld zu den Mietern des Enthüllungsjournalisten und Freundes Günter Wallraff zählt,  Projekte in gut 60 Ländern unterstützt. Mehr als 25 Millionen Menschen wurden medizinisch behandelt, acht Millionen Kinder geimpft.

Aktuell laufen weltweit elf Projekte, darunter seit 1997 das mittlerweile älteste im Sudan. Es ist zugleich ein gutes Beispiel für die Grundprinzipien des Vereins. Inmitten der Nuba-Berge in der umstrittenen Grenzregion zwischen Nord- und Südsudan sind ein großes Krankenhaus und inzwischen sechs Außenposten entstanden. 250 000 Patienten werden dort jährlich versorgt. „Aber im Norden ist das ein illegales Projekt“, sagt Geschäftsführer Bernd Göken, der selbst zwei Jahre im Sudan gearbeitet hat. „Wir haben dort keine Legitimation.“

Die Region wird regelmäßig von der Regierung bombardiert – und die Helfer sind derselben Bedrohung ausgeliefert wie die Bevölkerung vor Ort. Die Mitarbeiter, die entsendet werden, leben dort, wo sie arbeiten. Und wo Hilfe notwendig ist, werden eben auch unkonventionelle bis illegale Wege eingeschlagen. Während andere Hilfsorganisationen in Akutfällen mitunter durch langwierige Visaanträge gelähmt werden, reisen Cap-Anamur-Helfer im Notfall mit viel Geld in der Tasche und einem Touristenvisum in die Katastrophenregion.

Wie in Nepal, wo es nach dem schweren Erdbeben 2015 zunächst um Soforthilfe in zwei zerstörten Dörfern ging. „Später schicken wir dann auch Fachleute, die langfristig helfen und zeigen, wie Bauten erdbebensicher errichtet werden können“, sagt der Vereinsvorsitzende und Kinderarzt Werner Strahl, der gerade erst vom Besuch eines Schulprojekts in  Nepal zurückgekehrt ist.

40 Jahre Cap Anamur – 1979 war das unvorstellbar. „Am Anfang haben wir gedacht, das geht drei Monate und dann haben wir kein Geld mehr“, sagt Christel Neudeck. Aber noch funktioniert die Idee, „dass wir unseren Auftrag von den Spendern bekommen“. Und sie räumt ein: „Wir waren total naiv. Aber ich weiß nicht, ob wir uns das getraut hätten, wenn wir nicht naiv gewesen wären.“

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