Bundeswehr: Topfit, aber ausgemustert

Was muss Mann eigentlich tun, um bei der Musterung ein „T1“ zu bekommen?

<strong>Düsseldorf. Sie sind gerade 18 Jahre alt? Sie fühlen sich, als könnten Sie Bäume ausreißen, vielleicht sind Sie sogar ein richtig guter Sportler? Sie waren auch noch nie ernsthaft erkrankt? Dann sind Sie womöglich genau der Richtige für die Bundeswehr. Oder auch nicht. Denn bei der Musterung stellt der Arzt fest, dass der Beckengürtel leicht verschoben ist und die Tränenwege Anomalien vorweisen. Und dann rutscht Ihnen auch noch raus, dass Sie schon mal ungeahnte Reaktionen auf eine Gelbfieberimpfung zeigten. Dann kann es schon heißen: Tauglichkeitsgrad 5 (T5) - ausgemustert! So wie für nahezu jeden zweiten Wehrpflichtigen.

Weniger als 13 000 Rekruten rückten 2007 in eine Kaserne ein

In Nordrhein-Westfalen wurden laut Wehrbereichsverwaltung West in Düsseldorf von den knapp 79 000 Männern, die 2007 erstmals zur Musterung im Kreiswehrersatzamt vorstellig wurden, 37,8 Prozent als T5, also untauglich, erfasst. Abzüglich der Kriegsdienstverweigerer und Ausnahmefälle rückten tatsächlich weniger als 13 000 Wehrpflichtige aus NRW in eine Kaserne ein. Kritiker sprechen von "politisch kalkulierter Willkür" und fehlender Wehrgerechtigkeit. Für Volker Müller aus dem Bundesamt für Wehrverwaltung in Bonn liegt die Ursache in "einer dramatischen Veränderung im Lebensführungs- und Bewegungsverhalten" der jungen Generation und einer "Schere zwischen nachlassendem Gesundheitszustand und gestiegener körperlicher Anforderungen".

Die Musterungsärzte handeln nach einem strengen Katalog: ZDv46/1, die Zentrale Dienstvorschrift, gibt auf etwa hundert Seiten in 83 Fehlernummern die Kriterien vor, nach denen der Tauglichkeitsgrad eines Mannes bemessen wird. Da sind neben Herz, Lunge und Knochenbau auch der Zustand der Fingernägel und das Verdauungssystem auf dem Prüfstand. Der Griff in den Unterleib mit dem Kommando "Bitte husten Sie jetzt!" ist ebenfalls noch verbreitet, darf aber vom Kandidaten abgelehnt werden. Der Arzt muss dann "nach Augenschein" bewerten.

Es gibt weitere, gewichtige, Voraussetzungen: Der Body Mass Index muss zwischen 18 und 28 liegen. Ein 1,80 Meter großer Mann darf demnach nicht weniger als 62 und nicht mehr als 97 Kilo wiegen. Die Mindestgröße für einen Wehrpflichtigen beträgt 1,54 Meter. Außerdem werden Puls und Blutdruck gemessen, jeder Kandidat muss einen Seh- und Hörtest absolvieren.

Mike Schlösser, 20, Zivildienstleistender aus Wuppertal: "Ich wäre ja am liebsten ausgemustert worden. Ich hatte mir für die Musterung vor einem halben Jahr auch meine Krankheitsgeschichte zurechtgelegt. Bei einem Sturz habe ich mir vor einigen Jahren das Steißbein gebrochen. Auch einen Arm und einen Daumen hatte ich schon gebrochen. Aber das hat die Ärztin nicht wirklich wahrgenommen. Sie war sehr bestimmt bei der Untersuchung. Schließlich bekam ich T 2. Das kam für mich etwas überraschend. Ich hatte ja auch gehört, dass heutzutage nicht mehr all zu viele tauglich gemustert werden. Darum hatte ich mich auch mit der Frage, ob ich Wehrdienst oder Zivildienst machen würde, gar nicht beschäftigt. Als ich nach der Untersuchung danach gefragt wurde, habe ich mich spontan für den Zivildienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband entschieden - es war eine gute Entscheidung."

Kevin Linnemann, 18, Gymnasiast aus Neuss: "Ich wollte auf jeden Fall zum Bund. Das ist Teil einer Familientradition, mein Vater hat seinen Wehrdienst bei der Marine geleistet. Ich bin aber mit gemischten Gefühlen zur Musterung gegangen. Viele meiner Schulkollegen wurden vorher ausgemustert, obwohl sie eigentlich keine besonderen Leiden haben. Ein Freund war rausgeflogen, weil er zwei unterschiedlich lange Beine hat. Das war vorher niemandem aufgefallen. Da dachte ich schon: Das könnte knapp werden. Ich bin kurzsichtig, mein Rücken ist krumm, ich habe lange Haare und bin vielleicht zu groß. Letztlich habe ich aber T2 bekommen - wegen der Brille. Ich habe inzwischen auch schon die Information, dass ich am 1.Juli einberufen werde. Ich weiß nur noch nicht, wohin ich komme."

Michael Kemna, 20, Gymnasiast aus Wuppertal: "Als vor knapp zwei Jahren meine Musterung bevorstand, hatte ich mich gefreut: Ich wollte Zivildienst machen, um nach der Schule mal was anderes kennenzulernen und trotzdem Geld zu verdienen. Nach zwei Stunden im Kreiswehrersatzamt in Düsseldorf war aber schon alles erledigt: Ausgemustert! Bei der medizinischen Untersuchung zog ich mein Oberteil aus. Und da sah der Arzt eine kleine Wunde auf meinem Rücken. Da hatte ich einige Zeit zuvor einen Regenschirm abbekommen, und es war noch nicht ganz verheilt. Der Arzt sagte nur: Das dauert zu lange, bis sie einsatzfähig sind. Und dann konnte ich gehen. Dabei bin ich kerngesund. Am Ende wurde ich bloß noch von einem Mitarbeiter gebeten, meinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zurück zu ziehen. Das würde nur unnötigen Papierkram bedeuten."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort