Ein Jahr Bürgerbewegung Finanzwende Gegenbewegung zur Bankenlobby

Berlin · Finanzexperte Gerhard Schick sieht seine „Bürgerbewegung Finanzwende“ ein Jahr nach der Gründung im Aufwind.

 Die „Bürgerbewegung Finanzwende“ setzt sich auch für die Interessen von Bankkunden ein, die durch Konsumentenkredite übervorteilt werden.

Die „Bürgerbewegung Finanzwende“ setzt sich auch für die Interessen von Bankkunden ein, die durch Konsumentenkredite übervorteilt werden.

Foto: dpa/Jens Büttner

Gerhard Schick war bis 2018 mehr als ein Jahrzehnt lang für die Grünen im Bundestag und hatte sich dort als Finanzexperte einen Namen gemacht. Seit Jahresbeginn widmet sich der 47-jährige Mannheimer seiner selbst gegründeten „Bürgerbewegung Finanzwende“, die ein Gegenstück zur klassischen Wirtschafts- und Finanzlobby in Deutschland werden soll. Wir sprachen mit Schick darüber, ob dieser Plan gelingt.

Herr Schick, sind Sie nach einem Jahr Bürgerbewegung ernüchtert?

Schick: Im Gegenteil. Die Resonanz ist besser, als ich erwartet habe. Wir haben nach einem Jahr schon über 2000 Mitglieder. Ich bin froh über den Wechsel aus dem Bundestag. Aber natürlich bleibt noch viel zu tun.

Von der Popularität einer Bewegung wie  „Fridays For Future“ können Sie aber nur träumen…

Schick: Klar, da muss man Realist sein. Andererseits sind auch Organisationen wie Greenpeace oder Foodwatch nicht aus dem Stand zu ihrer heutigen Größe gekommen. Das hat Jahre gedauert. Wenn man sich klar macht, dass sich sehr viele Menschen täglich über Banken, Finanzberater und Versicherungen ärgern, weil sie über den Tisch gezogen worden sind, dann gibt es noch viel Potenzial.

Können Sie diesen Menschen Hoffnung machen? Die Finanzmärkte sind ja immer noch weitgehend ungeregelt.

Schick: Auf jeden Fall. Ein Positivbeispiel: Als erste Aktion haben wir uns mit dem Anlagebetrugskanal der Firma P & R beschäftigt. Da ging es um Schiffscontainer, die es gar nicht gab, aber von Anlegern vermeintlich gekauft wurden. Dabei mussten wir feststellen, dass die Finanzaufsichtsbehörde sehr schlecht gearbeitet hat. Wir haben gemeinsam mit Betroffenen dem Chef der Finanzaufsicht einen Brief geschrieben. Inzwischen haben die zuständigen Ministerien diese Kritik aufgegriffen und die Aufsicht zu besserer Arbeit gedrängt. Wir bewegen also etwas.

Betrachten Sie die geplante Finanztransaktionssteuer auch als Erfolg?

Schick: Leider nein. Schon in meiner Zeit als Abgeordneter haben wir dafür gekämpft, dass es eine Besteuerung gerade des Hochfrequenzhandels geben muss, um diesen Irrsinn auszubremsen, dass Wertpapiere im Millisekundentakt hin und her geschoben werden. Jetzt liegt eine Vorlage des Finanzministeriums auf dem Tisch, die genau das Gegenteil verfolgt. Der extrem schnelle Handel wird nicht erfasst. Dafür werden langfristig agierende Sparer und Investoren belastet. Ein klares 1:0 der Finanzbranche.

Seit September läuft in Bonn der erste Strafprozess um so genannte Cum-Ex-Geschäfte, die als der größte Steuerhinterziehungsskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte gelten. Wie beurteilen Sie den bisherigen Verlauf?

Schick: Ermutigend. Der Richter hat klar festgestellt, was wir von Anfang an gesagt haben, nämlich, dass es sich um kriminelle, um strafbare Geschäfte handelt. Und die zweite gute Nachricht ist, dass dort, wo die Täter nicht mehr greifbar sind, andere Beteiligte wie etwa Depotbanken zur Kasse gebeten werden können. Auch sie haben mit dafür gesorgt, dass sich Akteure durch das Hin- und Herschieben von Aktien eine Steuer erstatten ließen, die sie nie gezahlt hatten.

Über welche Beträge reden wir da?

Schick: Insgesamt geht es um ein Schadensvolumen für den deutschen Staat in Höhe von mindestens zehn Milliarden Euro. Zurückgeholt wurden davon bislang 2,4 Milliarden Euro. Allerdings werden wir nie alles wiederbekommen. Dazu hat der deutsche Staat viel zu spät eingegriffen.

In Bonn müssen sich bislang lediglich zwei britische Aktienhändler verantworten. Fängt man nur die Kleinen, und die Großen lässt man laufen?

Schick: Die Strategie der Staatsanwaltschaft besteht darin, mit denen anzufangen, die ein umfassendes Geständnis abgelegt haben. Aber der Prozess in Bonn ist nur der Auftakt für eine ganze Reihe einschlägiger Verfahren. Das Thema Cum Ex wird uns juristisch noch viele Jahre beschäftigen. Dabei muss es darum gehen, Täter hinter Gitter zu bringen. Das wäre ein Signal, dass Finanzkriminalität wirklich ernsthaft verfolgt wird. Dass jetzt ein Anwalt einer Wirtschaftskanzlei wegen der Mitwirkung an Cum Ex in Untersuchungshaft sitzt, ist schon hilfreich zur Abschreckung.

Ihr Wunsch für 2020?

Schick: Ich hoffe, dass sich viele, die schlechte Erfahrungen bei Banken und Versicherungen gemacht haben, uns anschließen, damit wir gemeinsam etwas verbessern können.

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