Brown will Briten neues Wahlrecht bescheren

Analyse: Ist es nur ein Ablenkungsmanöver? Der angeschlagene Premierminister rüttelt an uralten Traditionen.

London. Die wilden Tagen im exzentrischen Westminster scheinen gezählt: Premier Gordon Brown will in einem historischen Schritt die Adelsmandate auf Lebenszeit im britischen Oberhaus abschaffen. Und Champagnerschalen auf Kosten der Steuerzahler soll es in Zukunft auch nicht mehr geben.

Die Vertreter des "House of Lords" sollen genau wie die Abgeordneten des Unterhauses gewählt und nicht länger ernannt werden. Auch das Unterhaus will Brown reformieren, möglicherweise indem Wählerstimmen für schwächere Kandidaten nicht wie bisher komplett verloren gehen, sondern leicht proportional gewertet werden.

Mit den Vorschlägen, die an Jahrhunderte alten Traditionen des Königreiches kratzen, versucht der Premier, politischen Boden gutzumachen. Brown gilt als Regierungschef auf Bewährung: Nach zwei verheerenden Wochen der Ministerrücktritte und Kabinettsrevolten hatte die Labour-Partei ihm Montagabend eine letzte Chance eingeräumt.

Den Erwartungsdruck pariert er nun mit weitreichenden Ideen. So könnte das Mehrheitswahlrecht, nach dem in Großbritannien nur der Siegerkandidat eines jeden Wahlkreises ins Parlament einzieht, gekippt werden.

Innerhalb Browns Partei wird die so genannte Rangfolgewahl nach australischem Vorbild favorisiert. Bei diesem Verfahren machen Wähler kein Kreuzchen für einen Kandidaten, sondern können ihren ersten, zweiten und dritten Favoriten festlegen.

Stimmen von Anhängern der Grünen oder Liberaldemokraten waren bisher verloren, da die Wahlkreise überwiegend Labour- oder Tory-dominiert sind und nach dem Mehrheitswahlrecht allein der absolute Sieger einen Sitz in Westminster bekommt. Britische Wähler befinden sich so in der frustrierenden Situation, sich beispielsweise mit den Grünen zu identifizieren, aber ihre Stimme Labour schenken zu müssen, wenn sie nicht die Konservativen stärken wollen.

Auch der Vorschlag, die Geistlichen und Adeligen im Oberhaus nicht mehr zu ernennen, sondern zu 80 Prozent oder vollständig zu wählen, ist ein Dauerbrenner der Labour-Partei. Brown will die Umsetzbarkeit dieses Reformvorschlags neu überprüfen und könnte ihn zum Herzstück im nächsten Labour-Wahlkampf machen.

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