Reportage Wie Albanien um die Gunst der EU wirbt

Tirana · Albanien will unbedingt in die EU und unternimmt viel, um den Ruf als Kriminalitätshochburg los zu werden.

Auf dem Weg in die EU: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) neben dem albanischen Premierminister Edi Rama im Bundeskanzleramt.

Auf dem Weg in die EU: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) neben dem albanischen Premierminister Edi Rama im Bundeskanzleramt.

Foto: Michael Kappeler/dpa/Michael Kappeler

Charmeoffensive in Tirana. Albaniens Regierungschef Edi Rama lässt für die deutschen Journalisten Wein auffahren und zeigt ihnen sein Büro. Schreibtisch und Besucherecke sind voll mit Filzstiften und Bildern. Der 54-jährige charismatische Sozialist ist Künstler, demnächst stellt er in Rostock aus. Erion Veliaj, Bürgermeister der Hauptstadt, nimmt sich am Tag vor der Geburt seines ersten Kindes zwei Stunden Zeit, um den angereisten Pressevertretern die Aufbruchstimmung zu vermitteln, die tatsächlich über der schnell wachsenden Metropole mit ihren 700.000 Einwohnern liegt. Und Innenminister Fatmir Xhafaj verspricht jedem einen Gratis-Aufenthalt, der seine Angaben über den angeblich erfolgreichen Kampf gegen die organisierte Kriminalität bezweifelt und nachrecherchieren will.

Es ist ein intensives Werben um die Gunst der deutschen Medien, und damit indirekt um die EU. „Wir sind wie ein Liebender, der verzweifelt die Heirat will“, sagt Rama poetisch. Bisher hat dieser Liebende immer nur die vage Aussicht auf eine mögliche Verlobung bekommen – vielleicht, mal sehen. Im Juni nächsten Jahres will der Europäische Rat endgültig über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entscheiden. In Deutschland muss dem freilich auch der Bundestag zustimmen, und in der CDU-Fraktion gibt es Widerstände.

In Sachen EU sind in Albanien alle einer Meinung. „Es gibt keinen Plan B“, sagt Rama. „Wir haben keine Alternative“, formuliert Besar Likemta, ein Blogger und harter Regierungskritiker. Und auch Oerd Bylykbashi, ein führender Oppositionsabgeordneter, meint: „Dieses Land hat keine andere Chance“. So sehr wie das von Karl May einst als „Land der Skipetaren“ bezeichnete Albanien sehnt sich wohl keiner der Balkanstaaten danach, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Albanien hat dabei von allen den schwierigsten Weg hinter sich: Dort herrschte bis 1989 nicht nur eine sozialistische Diktatur wie überall, sondern Enver Hodscha, dessen Regime dem heutigen Nordkorea glich. Seine als Mausoleum gedachte Pyramide im Stadtzentrum Tiranas ist heute eine vermüllte Ruine.

Unweit davon fand im Kongresspalast am Donnerstag und Freitag eine Konferenz mit EU-Vertretern und den Innen- und Justizministern aller Balkanländer statt, auf der die albanische Regierung das Herzstück ihrer Reformen präsentierte: Den Kampf gegen organisierte Kriminalität und gegen Korruption. Zahlreiche Hochglanzbroschüren in englischer Sprache lagen aus.

Die Cannabisproduktion sei „praktisch nicht mehr vorhanden“, schilderte Innenminister Xhafaj den Gästen. Und gegen mafiöse Banden habe es mehrere Großoperationen gegeben mit insgesamt 130 Festnahmen. Albanien tut viel, um den Ruf loszuwerden, es sei immer noch ein wildes Räuberland wie zu Mays Zeiten.

Am wichtigsten ist die Justizreform. Es gibt eine spezielle Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft. Und unter internationaler Beobachtung werden nach und nach alle 800 Richter und Staatsanwälte durchleuchtet. 50 Fälle sind bereits abgeschlossen. Bisher wurden 22 Juristen aus dem Staatsdienst entfernt, zum Beispiel, weil sie ihren Immobilienbesitz nicht recht erklären konnten. Darunter auch der Generalstaatsanwalt. EU-Botschafter Luigi Soreca, einst Anti-Mafia-Ermittler, spricht von einem „wirklich beeindruckenden Prozess“.

Premier Rama weiß, dass die Widerstände gegen Albanien in der EU trotzdem groß sind, schon weil das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern bettelarm ist. Dabei hat Albanien als einziger der Balkan-Bewerber keinerlei Konflikte mit Nachbarstaaten und spielt auch nicht die Karte aus, alternativ mit Russland zu kooperieren. „Europa ist unberechenbar“, sagt Rama und meint damit, dass alle Anstrengungen womöglich umsonst sein könnten, zum Beispiel weil in den europäischen Kernländern gerade Wahlen sind und man dort Rücksicht auf Nationalisten nimmt, die nichts von EU-Erweiterungen halten.

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