Völkermord im Irak befürchtet

Bagdad/Berlin (dpa) - Angesichts der verheerenden Situation der Zivilbevölkerung im Nordirak mehren sich Warnungen vor einem Völkermord durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Völkermord im Irak befürchtet
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Im Sindschar-Gebirge im Norden des Landes saßen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR vom Dienstag weiter 20 000 bis 30 000 Menschen in der Todesfalle der Gotteskrieger. Die meisten von ihnen gehörten der religiösen Minderheit der Jesiden an. „Das ist die Vorbereitung eines Völkermords, eines Genozids. Um nichts anderes geht es dort“, warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Deutschland ist nach Worten von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wegen der Entwicklung nun auch bereit, Rüstungsgüter in den Irak zu liefern.

Die USA flogen am Dienstag weitere Luftangriffen gegen IS-Stellungen. Bisher sei die Miliz dadurch aber nicht entscheidend geschwächt worden, räumte das Pentagon ein. Man habe nur ihr „Tempo verlangsamt“, sagte Generalleutnant William Mayville. Doch die IS-Kämpfer seien „weiter darauf aus, größere Gebiete zu gewinnen“.

Der Sprecher des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, Holger Geisler, warnte, die Menschen im Sindschar-Gebirge seien akut vom Tode bedroht. „Sie werden stündlich weniger“, berichtete er. „Sie sterben an Hunger und Durst oder weil sie Blätter oder Baumrinde essen und dadurch vergiftet werden oder daran ersticken.“ Laut dem Zentralrat kamen binnen nur eines Tages 300 Kinder um. Die EU kündigte eine Aufstockung ihrer humanitären Hilfe an, Großbritannien lieferte weitere Hilfsgüter für die Flüchtlinge.

Auch nach Angaben von UN-Experten sind Tausende Jesiden „der unmittelbaren Gefahr von Massakern“ durch die IS ausgesetzt. „Es muss dringend alles getan werden, um massenweise Gräueltaten und möglicherweise gar einen Völkermord“ an Angehörigen der religiösen Minderheit zu verhindern, forderte die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheiten, Rita Izsák, am Dienstag in Genf. Die irakische Regierung und die internationale Gemeinschaft stünden in der Pflicht, die Jesiden davor zu bewahren.

Den UN lägen Berichte vor, wonach IS-Truppen systematisch Jesiden und andere Angehörige von Minderheiten oder Andersgläubige in die Enge trieben, sagte der für illegale Hinrichtungen zuständige UN-Sonderberichterstatter Christof Heyns. Zugleich verwies die UN-Berichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo, auf Informationen, IS-Mitglieder hätten Hunderte von Kindern und Frauen entführt und viele von ihnen vergewaltigt. Viele Frauen seien ermordet worden. „Solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen unterbunden und bestraft werden“, forderte Manjoo.

Von der Leyen betonte, bei den deutschen Rüstungslieferungen an den Irak gehe es jetzt nur um gepanzerte Fahrzeuge oder etwa Sprengfallen-Detektoren. Zur Frage, ob zu einem späteren Zeitpunkt Waffenlieferungen möglich sein könnten, sagte sie: „Wenn nachher die Frage im Raum steht, einen Genozid zu verhindern, dann müssen wir Dinge intensiv auch innerhalb Deutschlands noch einmal miteinander diskutieren.“ Ähnlich äußerte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): „Humanitäre Hilfe für alle, die Schutz brauchen und die Hilfe gewähren, ist eine Selbstverständlichkeit, aber wir müssen schauen, ob wir nicht mehr tun können und mehr tun müssen“.

Linksfraktionschef Gregor Gysi löste mit seinem Ja zu Waffenlieferungen in den Irak in der eigenen Partei hingegen einen Sturm der Entrüstung aus. Gysi relativierte seine Äußerungen daraufhin.

Im wochenlangen irakischen Machtkampf verlor Ministerpräsident Nuri al-Maliki immer weiter an Rückhalt. US-Präsident Barack Obama stellte sich klar hinter den vorgesehenen Nachfolger Haidar al-Abadi. Dessen Nominierung sei „ein hoffnungsvoller Schritt“, sagte er. Nach den USA sprach sich auch der Iran für Al-Abadi aus. Der Schiit Al-Maliki war 2006 noch mit Unterstützung aus Washington und Teheran an die Macht gekommen.

Nach seinem Sieg bei den Wahlen Ende April will er für eine dritte Amtsperiode wiedergewählt werden. Fast alle anderen politischen Kräfte lehnen das jedoch ab. Präsident Fuad Massum hatte deswegen nach einem wochenlangen Machtkampf Al-Abadi mit der Regierungsbildung beauftragt.

Al-Maliki weigert sich dennoch, sein Amt aufzugeben. Al-Abadis Nominierung sei ein Bruch der Verfassung, sagte er am Montagabend. Am Sonntag hatte er an strategisch wichtigen Punkten in Bagdad zunächst ihm loyale Sicherheitskräfte aufmarschieren lassen. Am Dienstag wies er die Armee dann aber nach Angaben der Internetseite Shafaaq News an, sich aus dem Machtkampf herauszuhalten. Sie sollten die politische Krise dem Volk, den Politikern und der Justiz überlassen.

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