Vergabe des Friedensnobelpreises: Großes Pathos in Zeiten der Krise

Bei der Vergabe des Friedensnobelpreises steht vor allem das bislang Erreichte im Mittelpunkt.

Oslo. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy führte im Osloer Rathaussaal vor, wie man das ganz große Pathos in unscheinbare kleine Sätze packen kann. „Meine Damen und Herren, es hat funktioniert. Frieden ist jetzt selbstverständlich“, fasste der Belgier bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union zusammen.

Aber auch die wohl prestigeträchtigste aller Auszeichnungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, in welch tiefer Krise die Europäische Union derzeit steckt. Die Finanzkrise in der Eurozone ist längst nicht ausgestanden, auch wenn Van Rompuy sagt: „Die unmittelbare Bedrohung ist fast vorüber.“

Am Montag in Oslo lenkten die EU-Repräsentanten die Aufmerksamkeit auf das Erreichte und weg von den Problemen. Vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsidenten François Hollande als stillen Zuhörern fand Van Rompuy die persönlichsten Worte für die als Grundstein für das erfolgreiche Friedensprojekt genannte deutsch-französische Aussöhnung: „Immer wenn ich die Worte Freundschaft (auf Deutsch) und Amitié höre, bin ich bewegt.“

Zuvor hatte Van Rompuy — ebenso wie der norwegische Nobelkomitee-Chef Thorbjörn Jagland — die Geste von Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in Erinnerung gerufen, als dieser sich mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand Hand in Hand gezeigt hatte.

Auch Kohls allseits anerkannte Rolle am Ende des Kalten Krieges fand Erwähnung: „Wir müssen der Bundesrepublik und ihrem Kanzler Helmut Kohl Tribut zollen für die Übernahme von Verantwortung und das Akzeptieren enormer Kosten für die Menschen der Bundesrepublik, als Ostdeutschland praktisch über Nacht in ein vereintes Deutschland einging“, sagte Jagland.

Das hätte sich der jahrelang als Favorit auf den größten aller Friedenspreise gehandelte Kohl wohl gern selbst in Oslo sagen lassen. Nun aber saß statt seiner ein anderer Deutscher auf einem der Stühle für die Preisträger: der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz.

Der Sozialdemokrat bekam kein Rederecht, hatte aber bei einer vorausgegangenen Pressekonferenz im Nobelinstitut weit stärker als Van Rompuy auf Gefahren für das Friedensprojekt EU durch Finanzkrise und zunehmenden Nationalismus hingewiesen: Er wolle nicht wie im von ihm geschätzten Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann einer dritten Generation nach den „Gründern“ und den „Verwaltern“ angehören, die „das Erbe verspielt“.

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