Organisiertes Verbrechen in Russland Teil 2: Russland nutzt Kriminelle als Schatten-Armee

Nato nennt die neue russische Strategie „hybride Kriegsführung“: Staaten verhalten sich künftig wie Guerrillakämpfer.

Lässt Gangster laut einem Report für die Staats- und Regierungschefs der EU inRussland ihrem kriminellen Handwerk ungehindert nachgehen: der russischePräsident Wladimir Putin.

Lässt Gangster laut einem Report für die Staats- und Regierungschefs der EU inRussland ihrem kriminellen Handwerk ungehindert nachgehen: der russischePräsident Wladimir Putin.

Foto: nn

Es passt sowohl zur Strategie Russlands als auch zu seinen wirtschaftlichen Realitäten, im großen Stil mit der Organisierten Kriminalität gemeinsame Sache zu machen. Russlands Bruttoinlandsprodukt liegt aktuell noch bei 1,3 Billionen USDollar. Damit ist das Kernland der einst mächtigen Sowjetunion wirtschaftlich schon gegenüber Italien (1,8 Billionen) zweitklassig und im Vergleich zu Deutschland (3,4 Billionen) ein Zwerg. Dass sich mit einem Drittel der Wirtschaftskraft Deutschlands keine Weltmacht- Pläne verwirklichen lassen, leuchtet ein. Schon aus diesem Grund würde es für den Kreml Sinn machen, einen Teil der Kosten auf die Organisierte Kriminalität abzuwälzen.

Es entspricht aber auch der russischen Theorie der „nichtlinearen Kriegsführung“, die Putins Generalstabschef Walerij Gerassimow Ende Januar 2013 in einer öffentlichen Rede bei der Jahresversammlung der Russischen Akademie für Militärwissenschaft drei Monate nach seinem Amtsantritt verkündete. Die Nato nennt die neue russische Strategie „hybride Kriegsführung“, und sie bedeutet schlicht, dass Staaten sich künftig wie Guerrillakämpfer verhalten. Bei dieser Methode wird dem Gegner der Krieg auch nicht mehr „erklärt“, und eigene Truppen sind nicht das erste, sondern das letzte Mittel, das eingesetzt wird.

Die Ziele des Krieges, so Walerij Gerassimow in seiner vom Westen viel zu spät beachteten Rede, würden nicht mehr durch konventionellen Beschuss, sondern den breiten und gesteuerten „Einsatz von Desinformationen, von politischen, ökonomischen, humanitären und anderen nichtmilitärischen Maßnahmen“ erreicht, „die in Verbindung mit dem Protestpotenzial der Bevölkerung zum Einsatz kommen“. Setze man eigene Truppen schließlich ein, dann „unter dem Deckmantel von Friedenserhaltung und Krisenbewältigung“. Die Besetzung der Krim und das russische Eingreifen in Syrien belegen die historische Nato-Erfahrung, dass Russland sich lehrbuchtreu an seine Pläne hält.

Der pro-europäische Think Tank CENAA hat gerade einen neuen Report zum „Information- Krieg“ als europäischer Sicherheitsherausforderung vorgelegt. Demnach hat der Kreml seine Ausgaben für Desinformations- und Propaganda-Medien noch einmal gesteigert. Aus der klammen Staatskasse lag das Budget allein für „RT“ (früher „Russia Today“) 2013—2014 bei 400 Millionen US-Dollar, Sputnik News erhält gemeinsam mit Ria Novosti ein weiteres Jahresbudget von 200 Millionen Dollar. Hinzu kommen Ausgaben für unzählige lokale Staatsmedien. Angesichts des Drucks, unter dem die russischen Staatsfinanzen stehen, sind das enorme Summen. Da wundert es nicht, das Profi-Kriminelle als „freie Mitarbeiter“ in Betracht kommen.

Galeottis Report beschreibt, wie die Organisierte Kriminalität sich seit Putins Machtübernahme im Jahr 2000 verändert hat. „Viele Kriminelle zu der Zeit befürchteten, dass es Putin mit seiner harten Gesetz-und-Ordnung-Rhetorik ernst war, aber es wurde bald klar, dass er einfach einen neuen Gesellschaftsvertrag mit der Unterwelt anbot.“ Bald habe die Runde gemacht, dass Gangster weiterhin Gangster sein konnten — so lange sie verstanden, dass der Staat die größte Bande in der Stadt sei und sie nichts taten, um den Staat direkt herauszufordern. Galeotti: „ Unerwünschte Straßengewalt wurde durch gezielte Attentate ersetzt; Tattoos waren out, und italienische Anzüge waren in. Die neue Generation Gangster-Geschäftsleute hatte die Old-School-Kriminellen erfolgreich domestiziert.“

Was vor allem ein Einwanderungsland wie Deutschland, das zwischen 1950 und 2014 laut Statistischem Bundesamt rund 2,37 Millionen Spätaussiedler aus der früheren Sowjetunion aufnahm, nicht gern hören wird, ist, wo sich die RBOC am liebsten tummelt, seit sie vorzugsweise innerhalb der legalen Wirtschaft hinter legitimen Fassaden operiert: dort, wo sie sich in der Menge russischer und anderer eurasischer Gemeinschaften verstecken kann. Als Beispiel nennt Galeotti Zypern, wo 35 000 bis 40 000 Einwohner russischsprachig sind. Viele von ihnen sind noch in der UdSSR aufgewachsen und ausgewandert. Viele seien nicht direkt in die RBOC involviert, sondern fungierten als Brücke zwischen RBOC-Gruppen und der griechischen Unterwelt.

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