Syrien ist nach Assad-Rede noch tiefer gespalten

Damaskus/Istanbul (dpa) - Einen Tag nach der mit Spannung erwarteten Rede von Präsident Baschar al-Assad in Syrien ist die Bevölkerung des arabischen Landes gespalten.

Während Oppositionelle Assads Ansprache als Kampfansage an die regimekritischen Demonstranten interpretierten, wiesen die Anhänger der regierenden Baath-Partei auf die vom Präsidenten angekündigten Reformen hin.

Die Rede des syrischen Präsidenten sei hinter den Erwartungen zurückgeblieben, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin. Die Bundesregierung ermahnte die syrische Führung, die Anwendung von Gewalt zu vermeiden. Stabilität brauche Reformen. Die US-Regierung nannte Assads Rede enttäuschend und substanzlos. Die Muslimbruderschaft in Jordanien rief Assad auf, die Forderungen seines Volkes nach Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und sauberen Wahlen zu erfüllen.

Die Nachrichten-Website „Syria-News“ meldete am Donnerstag, Assads Baath-Partei habe eine Juristenkommission damit beauftragt, „zu untersuchen, wie man eine Aufhebung des Ausnahmezustandes innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens vorbereiten kann“. Regierungsbeamte hatten vor der Assad-Rede inoffiziell erklärt, der Ausnahmezustand, der dem Regime seit 1963 als wichtiges Instrument bei der Unterdrückung politischer Gegner dient, werde sofort aufgehoben.

Die Staatsmacht hatte mehrfach Demonstrationen mit brutaler Gewalt beendet. Nach inoffiziellen Angaben starben mehr als 100 Menschen. Journalisten wurden bei der Berichterstattung über die Proteste behindert. Am Donnerstag ließ Assad eine Untersuchungskommission bilden, um aufklären zu lassen, wer die Schuld an den tödlichen Schüssen bei den Demonstrationen in den Provinzen Daraa und Latakija trägt. Unabhängige Beobachter äußerten jedoch Zweifel daran, dass diese Kommission wirklich den Auftrag zu einer neutralen Untersuchung erhalten hat.

Assad hatte in seiner Rede vor dem Parlament am Mittwoch keine der Reformen zugesagt, die bei den Demonstrationen der Opposition in den vergangenen Tagen gefordert worden waren. Auch die Aufhebung des Ausnahmezustands hatte er nicht verkündet.

Kurz nach Assads Rede war es in der Stadt Latakia erneut zu einer Protestkundgebung gekommen, bei der ein junger Mann getötet wurde. Oppositionelle berichteten von zahlreichen Verletzten. Für diesen Freitag riefen Regimegegner zu neuen Protestaktionen auf.

In den Internet-Foren der Opposition wurde derweil über einen Zwischenfall diskutiert, der sich nach der Rede vor dem Parlament ereignet hatte. Eine Frau mit Kopftuch hatte sich dem Fahrzeug von Assad genähert und versucht, ihm ein Papier zu übergeben. Seine Leibwächter stießen sie zur Seite. Über ihre Identität wurde zunächst nichts bekannt.

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