Neue Vorschriften Polens Oberste Richterin ignoriert Zwangsruhestand

Warschau (dpa) - Nach der jüngsten Justizreform entspinnt sich in Polen ein Machtkampf zwischen Regierung und der Vorsitzenden des Obersten Gerichts. Richterin Malgorzata Gersdorf widersetzte sich an diesem Mittwoch ihrer per Gesetz erzwungenen vorzeitigen Pensionierung und erschien zur Arbeit.

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Im Europaparlament bestürmten Abgeordnete der großen Fraktionen den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki mit Kritik am Umbau der Justiz. Der Regierungschef pochte indes darauf, dass Polen sein Rechtssystem alleine gestalten dürfe.

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Polen liegt seit mehr als zwei Jahren im Streit mit der EU-Kommission wegen der von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS vorangetriebenen Reformen. Die Brüsseler Behörde, zuständig für die Einhaltung der EU-Verträge, fürchtet um die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung. Erst diese Woche hat sie ein weiteres Verfahren wegen Verletzung von EU-Recht gegen Warschau eingeleitet.

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Bei der Reform geht es um die vorzeitige Zwangspensionierung von Richtern am Obersten Gerichtshof, gegen die sich die Vorsitzende Gersdorf auflehnt. Sie beharrt auf der in der Verfassung vorgesehenen Richter-Amtszeit von sechs Jahren, nach der sie bis 2020 im Amt bleiben darf. „Ich trete als Verteidigerin des Rechtsstaats auf“, sagte die 65-jährige Juristin. „Ich werde weiter Gerichtsvorsitzende sein.“

Nach einem von der PiS durchgesetzten Gesetz, das seit Mittwoch greift, sollen Richter am Obersten Gericht schon mit 65 statt mit 70 Jahren in den Ruhestand gehen. Das betrifft 27 von 72 Richtern. Wer im Amt bleiben will, muss dies bei Staatspräsident Andrzej Duda beantragen. Regierungskritiker warnen, damit werde die PiS in Polen missliebige Richter los. Gegen das umstrittene Gesetz demonstrierten in Warschau am Mittwoch rund 1500 Menschen. Einige skandierten: „Hände weg von den Gerichten!“

Im Europaparlament, wo Morawiecki am Mittwoch eine Rede zur Zukunft der EU hielt, wurde ebenfalls harsche Kritik laut. „Zerstören Sie nicht die demokratische Kultur in Ihrem Land!“, forderte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Udo Bullmann (SPD). „Warum entlässt Ihre Regierung Richter wegen deren politischer Meinung?“, fragte der christdemokratische Fraktionschef Manfred Weber (CSU). Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrowskis, bekräftigte in der Debatte: „Wenn der Rechtsstaat systematisch bedroht ist, dann können wir nicht einfach die Augen davor verschließen, wir können nicht sagen, dass das ein rein nationales Problem ist.“

Morawiecki wies die Kritik zurück. Die Richter in seinem Land könnten heute unabhängiger arbeiten als vor den Reformen, sagte er: „Polen ist ein stolzes Land, bitte erteilen Sie uns keine Lehren!“ Auch in seiner Europa-Rede pochte er auf Eigenständigkeit in der EU. „Die Achtung der nationalen Identitäten ist eine der Stützen der Europäischen Union“, sagte Morawiecki. „Jedes Land hat das Recht, sein Rechtssystem zu gestalten gemäß seiner Traditionen.“

Morawiecki betonte die konstruktive Rolle, die Polen in der EU spielen wolle. Man dürfe sich aber nicht auf „schicksalhafte Visionen“ eines europäischen Superstaats einlassen. Die EU sei vielmehr ein „zwischenstaatliches Experiment“ zur Suche nach Lösungen, die Nationalstaaten alleine nicht gelängen.

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