„Nato lässt uns hängen“: Libysche Rebellen enttäuscht

Bengasi/Brüssel (dpa) - Die Gegner des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben die Nato wegen ihrer Strategie scharf attackiert. „Leider hat uns die Nato bisher enttäuscht“, sagte der Militärführer der Rebellen, General Abdulfattah Junis, in der ostlibyschen Metropole Bengasi.

Sie bombardiere oftmals zu spät und gehe nicht entschieden genug vor. Im Brüsseler Hauptquartier der Allianz stießen die Vorwürfe auf Unverständnis. Die Truppen Gaddafis drängten indes die Aufständischen am Mittwoch vollständig aus dem Öl-Hafen Al-Brega zurück.

Die US-Regierung bestätigte den Empfang eines Briefes von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi an US-Präsident Barack Obama. „Aber offensichtlich war es nicht der erste“, sagte der Sprecher des Weißen Haus, Jay Carney. Zum Inhalt des jüngsten Briefes gab es offiziell keine Angaben. Der Sprecher ging nur indirekt auf Berichte ein, wonach Gaddafi Obama in dem Brief aufgerufen habe, einen Stopp der von der Nato geführten Luftangriffe in Libyen zu veranlassen. Der Sprecher sagte lediglich, die Position von Präsident Obama sei klar. Nicht Worte zählten, sondern Taten. Gaddafi müsse die Gewalt gegen die Bevölkerung beenden und seine Truppen zurückziehen.

Die Aufständischen begannen am Mittwoch an der Mittelmeerküste mit dem Öl-Export. Der erste Öl-Tanker aus dem von den Rebellen kontrollierten Gebiet in Ost-Libyen habe den Hafen der Stadt Tobruk verlassen, meldete der Nachrichtensender Al-Arabija.

Die Zusammenarbeit mit der Nato sei mangelhaft. Von einem Kontakt der Rebellen zur Nato bis zum Luftangriff dauere es bis zu acht Stunden, kritisierte Militärführer Junis auf einer Pressekonferenz am Dienstagabend. „Wird dann der betreffende Gaddafi-Trupp auf seinem Vormarsch warten, bis er aus der Luft bombardiert wird? Natürlich nicht!“, ereiferte sich Junis. „Bedauerlicherweise lässt uns die Nato hängen.“

Ein Mitarbeiter des Bündnisses, der namentlich nicht genannt werden wollte, widersprach. „Die Intensität der Nato-Operationen lässt nicht nach.“ Seit Übernahme des Kommandos über die Luftoperationen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen am Donnerstag vor einer Woche hätten Nato-Kampfjets in Libyen 400 Kampfeinsätze geflogen, teilte das Bündnis mit. Am Dienstag seien vor der Küste neun Schiffe gestoppt worden, um Waffenlieferungen zu verhindern.

Bereits zuvor hatte die Nato-Führung darauf hingewiesen, dass gezielte Luftangriffe, etwa bei der von Gaddafi-Truppen belagerten Stadt Misurata, Piloten und Einsatzplaner vor größte Probleme stellten. Gaddafi missbrauche die Zivilbevölkerung als „Schutzschild“, um schwere Waffen wie Panzer und Schützenpanzer vor Angriffen zu schützen.

In Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, lebt die Bevölkerung seit Wochen ohne Strom und Wasser unter Beschuss der Gaddafi-Artillerie. Die Truppen des Regimes verschonen dort laut Berichten mit ihren Angriffen selbst die Krankenhäuser nicht. „Wenn die Nato noch eine Woche wartet, ist Misurata erledigt“, sagte der Rebellen-Militär.

Militärführer Junis teilte mit, dass die Aufständischen inzwischen „leichte Waffen“ von nicht näher genannten „befreundeten Staaten“ erhalten haben. Russland warnte die Nato vor einer direkten Militärhilfe an die Rebellen. „Das wäre ein Bruch der UN-Resolution“, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau.

Im Hafen der Rebellenhochburg Bengasi verhinderte eine Menschenmenge die Landung eines türkischen Schiffes mit Hilfsgütern. Die Gaddafi-Gegner waren darüber empört, dass sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Vorwoche ausdrücklich gegen Waffenlieferungen an die Rebellen ausgesprochen hatte.

Nach heftigem Artilleriebeschuss der Gaddafi-Streitkräfte mussten sich Verbände der Regimegegner in der Nacht zum Mittwoch vollständig aus dem Öl-Hafen Al-Brega zurückziehen. Später kreisten über dem Kampfgebiet Nato-Flugzeuge, die aber nicht eingriffen, berichtete ein dpa-Korrespondent aus Adschdabija.

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