Krieg in der Ukraine Flughafen von Dnipro "vollständig zerstört" - Ermittlungen zu 5600 mutmaßlichen Kriegsverbrechen

Kiew · Westlich von Kiew wurden Dutzende tote Zivilisten in einem Massengrab gefunden - zu 5600 mutmaßlichen Kriegsverbrechen wurden laut Ukraine Ermittlungen eingeleitet. Ein Flughafen wurde nach den Angaben nun "vollständig zerstört". Die Entwicklungen im Überblick.

10. April, 16.34 Uhr: Mehr als 1200 Tote um Hauptstadt Kiew gefunden

In der Region um die ukrainische Hauptstadt Kiew sind nach ukrainischen Angaben bislang mehr als 1200 Tote gefunden worden. Staatsanwältin Iryna Wenediktowa nannte im Interview mit dem britischen Sender Sky News am Sonntag die Zahl von 1222 geborgenen Toten "allein in der Region Kiew". Die russischen Truppen hatten sich in den vergangenen Tagen aus der Region zurückgezogen.

10.04., 15.20 Uhr: Flughafen von Dnipro "vollständig zerstört"

Russische Truppen haben nach ukrainischen Angaben erneut den Flughafen von Dnipro angegriffen und diesen "vollständig zerstört". Sowohl der Flughafen als auch die umliegende Infrastruktur seien zerstört worden, erklärte am Sonntag der für die ostukrainische Stadt zuständige Gouverneur auf Telegram. Es werde derzeit geprüft, ob es Todesopfer gebe.

"Neuer Angriff auf den Flughafen von Dnipro", teilte Valentin Resnitschenko mit. "Es ist nichts übrig geblieben." Die Angriffe dauerten den Angaben zufolge zunächst noch an: "Die Raketen fliegen und fliegen", schrieb der Gouverneur auf Telegram.

Dnipro ist eine Industriestadt mit rund einer Million Einwohnern. Sie liegt am gleichnamigen Fluss (deutsch: Dnepr), der eine wichtige natürliche Barriere zum teilweise pro-russischen Osten der Ukraine bildet.

Ukraine leitet Ermittlungen zu 5600 mutmaßlichen Kriegsverbrechen ein

Die Ukraine hat seit Beginn der russischen Invasion Ermittlungen zu 5600 mutmaßlichen Kriegsverbrechen eingeleitet. Sie richteten sich gegen 500 Verdächtige aus den Reihen des russischen Militärs und der Regierung in Moskau, unter ihnen Kreml-Chef Wladimir Putin, sagte die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa am Sonntag dem britischen Sender Sky News. "Wladimir Putin ist der Hauptkriegsverbrecher des 21. Jahrhunderts."

Wenediktowa verwies unter anderem auf den Raketenangriff auf den Bahnhof von Kramatorsk in der Ostukraine, bei dem am Freitag nach ukrainischen Angaben 52 Menschen getötet worden waren. "Das ist ein Kriegsverbrechen", sagte die Generalstaatsanwältin. Es lägen Beweise dafür vor, dass Russland hinter dem Angriff stecke. "Diese Menschen wollten nur ihr Leben retten, sie wollten evakuiert werden", sagte sie mit Blick auf die hunderten Flüchtlinge, die sich in dem Bahnhof aufgehalten hatten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in der vergangenen Woche erklärt, es sei ein "spezieller Mechanismus" zur Untersuchung russischer "Kriegsverbrechen" in der Ukraine geschaffen worden. Er kündigte an, alle Verantwortlichen zu finden und zu bestrafen. An den Ermittlungen sollen sich nach Angaben Selenskyjs internationale Experten, Staatsanwälte und Richter beteiligen.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hatte Anfang März Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen.

10. April, 11:35 Uhr: Dutzende Tote in Massengrab westlich von Kiew gefunden

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Forderung nach einem Importstopp von Öl aus Russland bekräftigt.

„Wenn die Tyrannei eine Aggression gegen alles gestartet hat, worauf der Frieden in Europa ruht, müssen wir sofort handeln“, sagte er in einer Videobotschaft. Ukrainischen Angaben zufolge kamen bei russischen Angriffen an mehreren Orten des Landes viele Zivilisten ums Leben, etliche wurden verletzt.

Die Ukraine rechnet nicht mit einem baldigen Treffen von Selenskyj mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges. „Zu sagen, dass sie sich in einer Woche, in zwei Wochen treffen werden - nein, das wird so nicht passieren“, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak im ukrainischen Fernsehen.

Dutzende tote Zivilisten westlich von Kiew gefunden

Nach dem Abzug russischer Truppen sind auch westlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew Dutzende tote Zivilisten in einem Massengrab gefunden worden. „Nahe der Tankstelle von Busowa haben wir heute noch tote Zivilisten in einer Grube gefunden“, sagte der Gemeindevorsteher Taras Didytsch in der Nacht im ukrainischen Fernsehen. Auf der Trasse von Kiew nach Schytomyr seien zudem etwa 15 Kilometer von der Hauptsatdt entfernt Leichen bei einem Dutzend beschossener Autos gefunden worden.

Die russischen Truppen hatten in den ersten Kriegstagen versucht, die ukrainische Hauptstadt zu blockieren. Sie waren jedoch an der Hauptverbindungsstrecke nach Westen von ukrainischen Einheiten gestoppt und zurückgedrängt worden. Mittlerweile werden in immer mehr Orten Massengräber mit Zivilisten gefunden. Die Vereinten Nationen hatten bereits mehr als 1700 tote Zivilisten registriert. Sie gehen jedoch ähnlich wie die ukrainische Regierung in Kiew von weitaus höheren zivilen Opferzahlen aus.

Luhansk-Gouverneur: Russen-Angriff „eine Frage von Tagen“

Der Gouverneur des Gebiets Luhansk geht von einer baldigen Offensive der Russen im Osten der Ukraine aus. „Es ist eine Frage von Tagen“, sagte Serhij Hajdaj der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“. „Sie stellen sich an der Grenze neu auf und bombardieren uns weiter. Sie kennen keine Moral mehr: Sie machen Krankenhäuser, Schulen und Häuser dem Erdboden gleich.“ Der russische Präsident Wladimir Putin hatte beide als unabhängige Staaten anerkannt und danach einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.

Auf die Frage, was nun bevorstehe, sagte Hajdaj: „Die Hölle.“ Er erinnerte an Butscha oder Mariupol, wo seit Wochen schlimme Angriffe und Kriegsverbrechen beobachtet werden. „Bei uns wird es noch viel schlimmer“, sagte der Gouverneur. Anders als in anderen Teilen des Landes gebe es in Luhansk für die Ukrainer kaum noch Bunker, in denen sie Schutz suchen können. „Wir verstecken uns in den Kellern. Ich versuche, alle meine Mitbürger zu überzeugen, von hier weg zu gehen.“

Zivilisten als Schutzschilde - Briten sehen Beweise

Nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes gibt es nach dem russischen Abzug aus dem Norden der Ukraine Beweise, dass nicht am Kampfgeschehen beteiligte Menschen auf unverhältnismäßige Weise zur Zielscheibe geworden sind. Es gebe Massengräber, Geiseln seien als menschliche Schutzschilde gebraucht und zivile Infrastruktur vermint worden, teilte das britische Verteidigungsministerium in der Nacht zum Sonntag bei Twitter mit.

Zudem versucht Moskau nach britischen Erkenntnissen, seine zunehmenden Verluste an Soldaten im Ukraine-Krieg mit dem Einsatz früherer Militärbediensteter aufzufangen. Die russischen Streitkräfte bemühten sich darum, ihre Truppenstärke durch Personal aufzustocken, das in den vergangenen zehn Jahren aus dem Militärdienst ausgeschieden ist, teilt das britische Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Zu den Bemühungen, mehr Kampfkraft zu gewinnen, gehöre auch der Versuch, Kräfte in der von russischen Separatisten kontrollierten Region Transnistrien in der Republik Moldau zu rekrutieren.

Ukraine stellt Handelsbeziehungen mit Russland ein

Wegen des Angriffskriegs verhängte die Ukraine unterdessen ein Handelsembargo gegen Russland. „Das ist die juristische Verankerung der faktischen Einstellung der Handelsbeziehungen mit der Russischen Föderation vom 24. Februar“, sagte Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko gemäß dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Die Regierung schätzt die Verluste Moskaus aus dem Boykott auf umgerechnet rund 5,5 Milliarden Euro. Ein Teilimportstopp für russische Waren gilt bereits seit 2015. Kiew transportiert aber weiter täglich mehr als 100 Millionen Kubikmeter russischen Erdgases nach Westen.

Moskau: Hunderttausende nach Russland geflüchtet

Nach Militärangaben in Moskau sollen mehr als 700.000 Menschen aus den Separatistengebieten Donezk und Luhansk sowie anderen Teilen der Ukraine seit dem 24. Februar nach Russland evakuiert worden sein. Allein am Samstag hätten knapp 27.000 Menschen die umkämpften Regionen Richtung Russland verlassen, sagte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium. Aus der seit Anfang März umkämpften südukrainischen Hafenstadt Mariupol seien 134.000 Menschen gerettet worden. Die Zahlen sind nicht unabhängig zu prüfen.

Vier Strafanzeigen bei Autokorso in Lübeck

Die Polizei in Lübeck stoppte am Samstag einen Autokorso, weil Teilnehmer eine Billigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gezeigt hätten. Demnach seien auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet worden, teilte die Polizei in der Nacht mit. Eigentlich hatte die Demonstration im Stadtteil St. Lorenz mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine unter dem Motto „Gegen den Hass!“, stattgefunden. Etwa 150 Menschen hatten sich dazu am Nachmittag versammelt und nach einer Auftaktkundgebung den Korso aus 60 Fahrzeugen gestartet.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk fordert ein Verbot russischer Fahnen und anderer staatlicher Symbole bei pro-russischen Demonstrationen in Deutschland. „Das Tragen aller offiziellen Symbole eines Aggressor-Staates - wie der russischen Fahne - müsste per Gesetz verboten werden, solange Russland diesen Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Nation führt“, sagte Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Das Zeigen der russischen Symbole habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit „Verherrlichung einer barbarischen Aggression“ mitten in Europa. Er werde darüber „sehr konkrete Gespräche“ mit der Bundesregierung führen, kündigte Melnyk an.

In mehreren deutschen Städten sind prorussische Demonstrationen und pro-ukrainische Gegenveranstaltungen geplant. So soll in Frankfurt eine Kundgebung unter strengen Auflagen stattfinden - aber kein Autokorso. Laut der Stadt werden bis zu 2000 Teilnehmer erwartet. Die Polizei will die Demonstration „engmaschig begleiten“ und Verstöße ahnden. Mehrere Gruppierungen rufen zu Gegendemonstrationen auf.

© dpa-infocom, dpa:220410-99-865816/8

(dpa)
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