Wurde Europa „erpresst“? : Italien lässt Migranten nach Seenotrettung an Land
Rom/Tripolis (dpa) - Hunderte Bootsflüchtlinge, deren Aufnahme Italien hartnäckig verweigert hatte, sind nach tagelanger Blockade im Mittelmeer in Sizilien an Land gegangen.
Erst nach der Zusage von Deutschland und anderen EU-Ländern, jeweils 50 der insgesamt 447 Geretteten zu übernehmen, erklärte sich der italienische Innenminister Matteo Salvini zu diesem Schritt bereit. An dem Vorgehen wurde heftige Kritik laut. Unterdessen starben 6 Kinder und 2 Erwachsene in Libyen in einem Kühllaster, in den sie mit fast 100 anderen Migranten eingepfercht waren.
Das Holzschiff, in dem die 447 Migranten seit Mittwoch aus Libyen in Richtung Italien unterwegs waren, war am Freitag entdeckt worden. Die italienische Regierung wollte es nicht anlegen lassen, weil das Land darauf pocht, dass sich auch andere EU-Länder an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Am Samstag wurden die Migranten auf zwei Militärschiffe gebracht, wo sie ausharrten, bis Salvini die Blockade nach Hilfszusagen von Deutschland, Frankreich, Malta, Spanien und Portugal in der Nacht zum Montag beendete. Regierungskreisen zufolge will nun auch Irland 20 Menschen aufnehmen. Laut Medienberichten wurde auch eine Zusage Belgiens erwartet.
„Der italienische Innenminister Salvini erpresst Europa auf dem Rücken der Geflüchteten und instrumentalisiert sie für seine grausame Politik“, kritisierte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, in einer Mitteilung. Es sei verständlich, dass Italien oder auch Malta auf Solidarität bei der Aufnahme von Asylsuchenden drängten. Das Vorgehen des italienischen Innenministers verletze aber die europäischen Grundwerte.
Auch die Internationale Organisation für Migration übte Kritik. Viele der Migranten seien gesundheitlich schwer angeschlagen, sagte IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo der Deutschen Presse-Agentur. Sie seien in Libyen in inoffiziellen Lagern gefangen gehalten worden, viele seien unterernährt und litten an Krätze. Dass sie so lange auf dem Mittelmeer hätten warten müssen, „hat es nicht besser gemacht“.
Vor der Rettung am Samstag hatten sich dramatische Szenen an Bord des Bootes abgespielt, wie Überlebende nach Angaben von IOM-Mitarbeitern berichteten. Vier Bootsflüchtlinge seien ertrunken, als etwa 30 Migranten ins Wasser gesprungen seien, weil sie sich Rettung von einem in der Ferne gesichteten Schiff versprochen hätten. Schon da habe es kein Essen und Trinken mehr an Bord des Fischerbootes gegeben.