Gastbeitrag: Wie Frankreich uns zur Kasse bittet

Paris möchte die Europäische Zentralbank zum Übertünchen seiner Probleme nutzen. Für Lüder Gerken ist Frankreich das größte Sorgenkind der Eurozone.

Paris. Durch das Dauergezerre um das wohl nicht reformfähige Griechenland ist viel zu lange in den Hintergrund getreten, dass von ganz anderer Seite eine noch viel größere Gefahr für unsere Währung droht. Mit der Herabstufung nun auch durch die Ratingagentur Moody´s ist offensichtlich geworden: Das größte Sorgenkind der Eurozone heißt Frankreich. Die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone steckt in ernsthaften Schwierigkeiten.

Der Verfall der französischen Wettbewerbsfähigkeit ist vor allem auf zu hohe Lohnstückkosten zurückzuführen. Von 2000 bis 2011 stiegen sie um 25,4 Prozent, in Deutschland nur um 5,9 Prozent. Französische Produkte sind dadurch zu teuer geworden - sowohl auf den Exportmärkten als auch zuhause, weil auch die Franzosen vermehrt preiswertere Importwaren kaufen. Die Folgen: Die Arbeitslosigkeit ist mit über zehn Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland. Seit 2005 übersteigen jedes Jahr die Importe die Exporte. 2011 betrug die Differenz 39 Milliarden Euro, im ersten Halbjahr 2012 waren es sogar schon 25,5 Milliarden Euro.

Da Frankreich seit Jahren für Importe mehr ausgibt, als es über Exporte einnimmt, muss es immer größere Kredite im Ausland aufnehmen. Dadurch ist das Nettoauslandsvermögen der Franzosen innerhalb weniger Jahre zerronnen. Seit 2007 übersteigen die Auslandsschulden der Franzosen ihre ausländischen Vermögenswerte. 2011 betrug die Nettoauslandsverschuldung bereits 317 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das Auslandsvermögen der Deutschen ist auf 845 Milliarden Euro gestiegen.

Angesichts dieser Befunde müsste Frankreich dringend seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Unverzichtbar wären eine konsequente Senkung der Lohnstückkosten, die Reform der Sozialversicherung, Bürokratieabbau, Stärkung der Innovationskraft. Staatspräsident Hollande tat bislang das Gegenteil: Die von seinem Amtsvorgänger Sarkozy eingeführte Anhebung des Rentenalters machte er rückgängig. Er schwor, die 35-Stunden-Woche nicht anzutasten. Neuerdings will er die Unternehmen zwar um zwanzig Milliarden Euro entlasten. Jedoch hatte er deren Belastungen gerade erst um 14 Milliarden Euro erhöht.

Frankreich könnte also weiter in Richtung Italien und Spanien abgleiten. Gibt es eine Retterin wie seinerzeit die Jungfrau von Orléans, die die Franzosen 1429 aus der Bredouille führte? Kandidatin ist die Europäische Zentralbank (EZB). Allerdings ist die, anders als die heilige Johanna, nicht mehr unschuldig: Im Mai 2010 hat sie begonnen, Staatsanleihen wankender Euroländer mit mehr als 200 Milliarden Euro aus der Notenpresse zu kaufen. Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien hat sie damit vorübergehend glücklich gemacht. Im September 2012 erklärte sie schließlich, dass sie bereit ist, von jedem Euro-Staat, der sich einem "Reformprogramm" unterwirft, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen.

Aus gutem Grund war die deutsche Position immer gewesen: Die Zentralbank hat "nur" die Stabilität des Geldwertes zu sichern, also Inflation zu verhindern. Sie darf nicht mit der Geldpresse einer Regierung helfen, die ihre Hausaufgaben nicht macht. Die französische Haltung war immer entgegengesetzt: Die Zentralbank hat der Politik zu dienen und ihr bei Bedarf auch Entlastung über Niedrigzinsen und Inflation zu verschaffen.

Die Deutschen dachten, als der Euro eingeführt wurde, ihre Vorstellung von Geldpolitik habe sich durchgesetzt. Das Gegenteil ist der Fall. Dank Euro zahlen die Zeche solcher Politik nicht mehr nur die französischen Sparer, sondern die Sparer in allen Euro-Ländern.

Prof. Dr. Lüder Gerken ist Vorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und des Centrums für Europäische Politik.

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