Bürgerrechtler Chen mit Familie in die USA ausgereist

Peking (dpa) - Der blinde chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng und seine Familie sind von China in die USA ausgereist. Vier Wochen nach seiner Flucht aus 19 Monaten Hausarrest in die US-Botschaft in Peking endet damit das diplomatische Tauziehen zwischen den USA und China um den Aktivisten.

Die Ausreise kam am Ende schneller als erwartet. „Ich habe das Gefühl, dass alles sehr plötzlich ist“, sagte Chen Guangcheng einem Freund am Telefon, kurz bevor er das Flugzeug der United Airlines nach New York bestieg.

Das US-Außenministerium bestätigte, dass Chen Guangcheng mit seiner Familie China verlassen habe, um in den USA ein Studium aufzunehmen. „Wir sprechen unseren Dank aus für die Art, wie wir diese Angelegenheit lösen konnten“, sagte die Sprecherin Victoria Nuland nach Angaben der US-Botschaft.

„Nach sieben Jahren Verfolgung und Brutalität ist es heute ein guter Tag für Chen Guangcheng und seine Familie“, sagte Bob Fu von der in den USA ansässigen Menschenrechtsgruppe ChinaAid der Nachrichtenagentur dpa.

Der Bürgerrechtler wolle sich zunächst an der Universität von New York (NYU) für ein Jurastudium einschreiben, berichtete Bob Fu, der sich maßgeblich für den Aktivisten eingesetzt und allein vor dem Start von Flug UA88 sechsmal mit ihm telefoniert hatte. „Dann will Chen Guangcheng mit seiner Familie Urlaub machen und sich ausruhen.“ Vor dem Abflug sei der Akivist „in guter Stimmung“ und „begeistert“ gewesen. Doch sei Chen Guangcheng weiter besorgt über das Schicksal seiner zurückbleibenden Angehörigen.

Die Ausreise war frühestens nächste Woche erwartet worden. Obwohl Chen Guangcheng erst am Mittwoch die Reisepässe beantragt hatte, tauchten plötzlich Behördenvertreter im Chaoyang Hospital auf und forderten ihn auf, seine Sachen zu packen und sich auf die Ausreise vorzubereiten. Seit er die US-Botschaft verlassen hatte, lebte Chen Guangcheng mit Frau und Kindern von der Außenwelt weitgehend abgeschirmt in dem Hospital. Er wurde dort wegen einer Fußverletzung behandelt, die er sich bei seiner Flucht zugezogen hatte.

Erst am Flughafen erhielten Chen Guangcheng und seine Familie ihre Reisepässe. „Es waren keine Sicherheitsleute mehr da, nur Ärzte und Schwestern“, berichtete er telefonisch seinem Freund, dem Bürgerrechtsanwalt Jiang Tianyong, bevor er das Flugzeug bestieg.

Am 22. April war Chen Guangcheng aus dem Hausarrest in seinem Heimatdorf Dongshigu in der ostchinesischen Provinz Shandong mit Hilfe von Freunden in die US-Botschaft in Peking geflüchtet. Damit hatte er eine diplomatische Krise ausgelöst, die auch den Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton in Peking überschattet hatte. Er verließ die US-Vertretung am 2. Mai zunächst unter Zusagen, mit seiner Familie vereint zu werden und in China studieren zu dürfen.

Ihn überkamen aber Zweifel an den chinesischen Versprechen, als er von massiven Drohungen gegen seine Familie erfuhr. Aus Angst um seine Sicherheit entschied er sich dann doch für die Ausreise, die jetzt mit Hilfe der USA möglich wurde. Der Bürgerrechtler hatte sich seit Ende der 1990er Jahre mit seinem Einsatz für Opfer von Machtwillkür einen Namen gemacht. Trotz Erblindung hatte er sich die Juristerei autodidaktisch mit Hilfe seiner Frau beigebracht.

In Anlehnung an die „Barfußärzte“, die im revolutionären China mit einfachen medizinischen Kenntnissen übers Land gezogen waren, wurde Chen Guangcheng „Barfußanwalt“ genannt. Er half auch Opfern von Zwangsabtreibungen in der Stadt Linyi und war den Behörden deswegen ein Dorn im Auge. 2005 wurde Chen Guangcheng zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Seit Ablauf einer Haftstrafe im September 2010 waren er und seine Frau in seinem Haus festgehalten und von ihren Wächtern schwer misshandelt worden.

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