Blutige Eskalation in Ägypten

32 Menschen sterben bei Ausschreitungen in Port Said, mehr als 400 werden verletzt. Auslöser ist ein Urteil.

Kairo. Als die Gewalt in Ägypten erneut eskaliert, ermahnt eine der prominentesten Bloggerinnen des Landes die Randalierer: „Es ist schon genug Blut geflossen.“ Die Ägypter müssten zusammenhalten.

Die 27-jährige Mitbegründerin der Jugendbewegung „6. April“, Asmaa Mahfus, hatte im Januar 2011 mit einem Internet-Aufruf für Freiheit maßgeblich zu den ersten Massenprotesten gegen den Langzeitpräsidenten Husni Mubarak mobilisiert, die schließlich zu seinem Sturz führten.

Anders als vor zwei Jahren aber verhallt ihr Appell am Wochenende ungehört. 32 Menschen starben in der Stadt Port Said, mehr als 400 wurden verletzt.

Auslöser der jüngsten blutigen Eskalation: die Todesstrafe gegen 21 Drahtzieher der Fußball-Katastrophe in der nördlichen Hafenstadt vor einem Jahr. Damals waren Fans des örtlichen Vereins Al-Masri nach dem Abpfiff brutal auf Anhänger des rivalisierenden Al-Ahli-Klubs losgegangen — 74 Menschen starben.

Die Toten gehören inzwischen zu den offiziellen „Märtyrern der Revolution“. Wohl auch deshalb sprechen die Verwandten und Freunde der mutmaßlichen Täter in Port Said von einem politischen Urteil.

Zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks steckt Ägypten in einer verfahrenen Situation. Die Gesellschaft des nordafrikanischen Landes ist zutiefst gespalten: Islamisten gegen Linke, Liberale und Christen; Intellektuelle und Arbeiter aus dem Norden gegen Bauern und Beduinen aus dem Süden; Anhänger des alten Systems gegen die des neuen. Und jede Gruppe hat unterschiedliche Visionen für das neue Ägypten.

Touristen und Investoren bleiben fern, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall, das ägyptische Pfund im Keller. Die Armut wächst, und ständig gibt es wegen der zerfallenden Infrastruktur schreckliche Todesmeldungen.

Unsicherheit und Unzufriedenheit der Massen entladen sich regelmäßig in neuer Gewalt. So endete am Freitag der zweite Jahrestag des Aufstands gegen Mubarak in blutigen Protesten gegen seinen Nachfolger, den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi.

Und so konnte ein Fußballspiel zum Schauplatz eines brutalen Massakers werden, das ebenso grausame Gerichtsurteile nach sich zieht. Während in Kairo die „Ultras“ von Al-Ahli den Richterspruch feiern und ihre Opfer gerächt sehen, wird in Port Said um die neuen Opfer getrauert — darunter auch ein ehemaliger Fußballspieler von Al-Masri. Die Regierung erwägt, den Notstand auszurufen. Denn immer wieder bricht Gewalt aus.

Die Muslimbruderschaft, aus der Präsident Mursi stammt, tut das, was sie seit Monaten tut: Sie schiebt die Verantwortung „subversiven Elementen“ zu, „Saboteuren, Vandalen und Anarchisten“, die von dubiosen Kräften gelenkt und bezahlt würden. Eine Verschwörung, in die auch private Medien verwickelt seien.

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