Alltag in Kundus: „Auch die Soldaten weinen“

Hauptfeldwebel Lars H. erzählt vom Alltag in Kundus, fehlender Privatsphäre und bedrückenden Erlebnissen.

Kundus/Neuss. Eigentlich könnte Lars H. schon die Stunden zählen. Ende Juli besteigt er in Kundus eine Transall, die ihn zum deutschen Militärstützpunkt Termez in Usbekistan bringt. Von dort aus geht es weiter nach Köln. Dann ist Afghanistan für den Soldaten aus dem Kreis Neuss Geschichte — nach sechseinhalb Monaten Einsatz.

„Es wird nicht zu leicht, wieder in der Heimat anzukommen“, weiß der Hauptfeldwebel, der bereits 2009 in Kundus stationiert war. Die Eindrücke seien erschlagend. „Da fällt es schon schwer, mit der Freundin durch eine Fußgängerzone zu gehen.“

Der 32-Jährige gehört zu einem Bundeswehr-Kontingent, das große Verluste in Afghanistan zu beklagen hat. Vier Soldaten fielen allein im Mai und Juni bei Anschlägen der radikal-islamischen Taliban. Der ranghöchste deutsche Kommandeur in der Unruheprovinz Kundus, Generalmajor Markus Kneip, wurde schwer verletzt.

Die ständige Lebensgefahr ist Alltag für die Soldaten. Schwarz auf weiß lesen sie es, wenn sie das erste Mal ihre Unterkunft betreten. An den Türen der Zelte hängen Schilder mit Warnungen vor „Blitzschlag“ (Chiffre für Raketenbeschuss) und „Dammbruch“ (Angriff auf das Lager).

Mehr als ein „mulmiges Gefühl“ erlaubt sich H. dennoch nicht. Als Transportgruppenführer ist er laufend „im Raum“, wie Patrouillen in der Soldaten-Sprache heißen. „Wir versorgen die Kräfte draußen mit allem, was nötig ist. Vom Treibstoff bis zur Klobürste“, erzählt der 32-Jährige. Gedanken an die regelmäßigen Warnungen vor Selbstmord-attentätern und vergrabenen Sprengfallen kann man da nicht verschwenden.

Doch wenn der Druck zu groß wird, suchen die Soldaten die Hilfe eines „Peers“, eines speziell geschulten Kameraden aus der Truppe (Peer = engl. für gleichrangig). Lars H. ist so ein „Peer“, eine Art Vorstufe zum Truppenpsychologen. „Auch Soldaten weinen“, sagt der Hauptfeldwebel. So erinnert er sich an die Bombardierung des Tanklasters im September 2009. „Die Bilder, die Gerüche nach verbranntem Fleisch mussten viele erst sortieren.“

Meist sind die Gründe für ein Gespräch mit dem „Peer“ indes viel profaner. „Oft kriselt es wegen der langen Trennung in der Beziehung“, weiß H.. Manchmal sei es auch einfach der Alltag, der den Soldaten das Leben in dem mehr als 6000 Kilometer entfernten Land schwer mache.

Nicht jeder kann etwa mit der fehlender Privatsphäre umgehen. „Die ist gleich null bei 14 Mann in einem Zelt.“ Das (Privat-)Leben spielt sich im Lager ab — ein wenig Sport oder ein Bier in der Kneipe „Lummerland“. Wichtig sei der Kontakt zur Heimat per E-Mails und Telefon.

Ein Telefonat reicht aber nicht aus, um zu erklären, was sich in einem Land abspielt, dessen Menschen wie im 14. Jahrhundert leben. „Die Bevölkerung befindet sich im Mittelalter“, sagt Lars H.. Schwer zu verkraften sei das Frauenbild — gerade in paschtunisch geprägten Dörfern. „Frauen sind dort nur ein Gegenstand.“ Tatenlos müsse man zusehen, wenn Männer ihre Frauen fast totschlagen.

Und die Kinder? „Die Kindheit endet hier sehr früh. Die Kinder laufen oft als menschlicher Pflug übers Feld.“ Ein Fußball zum Spielen, eine Flasche Wasser — das sei für sie schon die Welt.

Mit leiser Stimme erzählt der Soldat von dem Mädchen, das von einem Einheimischen vor dem Bundeswehrlager abgelegt wurde. Ein Bein war schwer verletzt. „Der Dolmetscher gab uns zu verstehen, dass wir das Mädchen behalten könnten. Die könne nicht mehr verheiratet werden.“

In diesen Tagen ist Kontingentwechsel in Kundus. Dann beziehen wieder junge deutsche Soldaten ihre Zelte und erleben am eigenen Leib den Krieg in Afghanistan.

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