Analyse: Was schlummert noch in den Stasi-Akten?

Kritiker werfen der Birthler-Behörde vor, das Material nicht systematisch auszuwerten.

Berlin. Nur ein Zufall brachte die Stasi-Akte des Todesschützen von Benno Ohnesorg ans Licht - knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer. In die Debatte über die Stasi-Vergangenheit des West- Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Ohnesorg erschoss, mischen sich nun neue Töne. Diskutiert wird nicht nur, ob die Geschichte der Studentenbewegung umgeschrieben werden muss. Die Frage ist: Welche brisanten Papiere schlummern noch in den 112 Kilometer Akten und Millionen Karteikarten der Stasiunterlagen- Behörde unter Leitung der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler?

"Um es vorsichtig zu sagen: In der Behörde wird das Material sehr zurückhaltend erschlossen und nicht nach neuesten Methoden", kritisiert der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder. Weil die Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit nicht systematisch aufgearbeitet werde, gebe es Zufallsfunde. "Das ist ein Skandal." Auch der Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, moniert, dass die Erschließung der Akten "noch immer nicht funktioniert".

Damit dürfte der Streit um die Zukunft der Behörde wieder aufleben. Sowohl Knabe als auch Schroeder, die als Kenner der Behörde gelten, plädieren für eine schnelle Überführung der Stasi-Papiere ins Bundesarchiv. Dort wären sie auch einem breiteren Kreis zugänglich und könnten systematischer ausgewertet werden, argumentieren sie. Zumal die Westarbeit der Stasi in der Forschung bei Birthlers Leuten völlig unterbelichtet sei. "Man braucht die Stasiunterlagen-Behörde als Behörde nicht mehr", findet Schroeder.

Ein Großteil der Akten aus der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg und ihren Bezirksdienststellen waren nach der Wende von Bürgerrechtlern vor der Vernichtung gerettet worden. Experten gehen davon aus, dass auch in den rund 15 000 Säcken mit zerrissenen Stasi-Papieren noch geheime Informationen stecken.

Birthler will die Behörde bis mindestens zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 erhalten. Der zuständige Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hatte im Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung dafür plädiert, die Akten mittelfristig ins Bundesarchiv zu geben. Zunächst soll nach der Bundestagswahl eine Expertenkommission über die Zukunft der Einrichtung nachdenken.

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