Analyse: Merkel – ohne Kompass in der Krise

Die Bundeskanzlerin stellt sich nicht der Herausforderung, sondern laviert ohne klare Prinzipien. Und die Union verliert ihr Profil.

Berlin. Wenn die Bundeskanzlerin den Menschen, die sich vor dieser Weltkrise fürchten, ganz besonders viel Mut machen will, dann sagt sie: "Wir werden stärker aus dieser Krise herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind." Automatisch fragt man sich, ob Angela Merkel heimlich genau weiß, wie das funktionieren soll, und warum sie es nicht einfach verrät. Oder vormacht.

Denn Merkel wird stärker aus der Krise hervorgehen müssen, als sie hineingegangen ist. Die Erwartung, dass Kanzler an Herausforderungen zu wachsen haben, zählt zu den Grundgesetzen der Politik. Gerhard Schröder regierte mit allgegenwärtiger Medienpräsenz gegen Unheil an, trat als Gestalt gewordenes Nein im Vorfeld des Irak-Krieges auf oder in sturmfester Jacke während der Flutkatastrophe. Merkel dagegen scheint in der Wirtschaftskrise eher zu verschwinden. Auch wenn man ihr zugute halten muss, dass diese Krise sich unfassbar und vor dichtem Zukunftsnebel ereignet, wäre es doch besser, wenn man die Kanzlerin gut erkennen könnte.

Bescheidenheit ist eine von Merkels sympathischen Eigenschaften, aber zuweilen wäre es klüger, wenn sie sich ihrer Bedeutung bewusst wäre. Als Merkel unlängst ausnahmsweise eine klare Position bezog und Papst Benedikt wegen des Umgangs mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson kritisierte, stand der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew neben ihr.

Der war zufällig zum Staatsbesuch in Berlin, und während der Pressekonferenz fragte zufällig ein Journalist die Kanzlerin nach dem Papst. Und sie antwortete. Zufällig. Um aber eine derart gewichtige Kritik zu formulieren, hätte es einer angemessenen Form wie eines Briefs an den Papst oder eines Telefonats bedurft. So etwas erledigt man als Kanzlerin eben nicht nebenbei.

Auch für die Krise findet Merkel keine angemessene Form, mit der sie Präsenz zeigen und spürbar führen könnte. In kleinen Runden mit Politikern oder Journalisten verfügt Merkel über eine handfeste lebendige Sprache, die sich in der Öffentlichkeit in trockenes Holz verwandelt. "Die außergewöhnliche Krise erfordert außergewöhnliche Maßnahmen." Es fällt ihr vor vielen Menschen schon rhetorisch schwer, ihr Vorgehen zu begründen. Inhaltlich erst recht.

Das zweite Konjunkturprogramm, das die Kanzlerin eigentlich nicht haben wollte, moderierte sie aus Forderungen von Union und SPD zusammen, um den Koalitionsfrieden zu retten. Ihr größtes Anliegen, den Haushalt in Ordnung zu sparen, gab sie nicht nur wortarm auf, sondern sie kündigte weitere Steuersenkungen an, weil Wahlkampf eben auch sein muss. Den Umweltschutz ordnete sie den Bedürfnissen der bedrängten Autobranche unter, das Umweltgesetzbuch den Bedürfnissen von CSU-Chef Horst Seehofer.

Wovon aber ist Merkel so überzeugt, dass sie dafür einstehen würde? Vor fünf Jahren schien sie davon überzeugt, weniger Staat wagen zu sollen, heute wagt sie Staat bis zur Enteignung. Vielleicht könnte man flüchtenden Unionswählern das sogar noch erklären, bevor sie zur FDP aufbrechen, aber Angela Merkel versucht es gar nicht.

Sie setzt darauf, dass negative Wahrnehmungen sich in der massenmedialen Welt irgendwie auflösen. Allerdings kann das auch der Wahrnehmung von einer Kanzlerin passieren. Die Unruhe, die ihre CDU erfasst hat und für die die Kanzlerin verantwortlich ist, resultiert aus der Angst vor einer schleichenden Auflösung des Profils, der Identität, der Partei.

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