Analyse: Gewerkschaften hoffen auf Einfluss in der Krise

Der DGB will die Mitbestimmung ausweiten und fordert Mindestlöhne für Arbeitnehmer.

Frankfurt. Der Slogan zum diesjährigen Tag der Arbeit kommt älteren Westdeutschen noch gut bekannt vor. "Arbeit für alle" - mit dieser Parole fochten die Gewerkschaften bereits 1984 für die 35-Stunden-Woche. 25 Jahre später müssen sie unter globalisierten Vorzeichen den Halbsatz "bei fairem Lohn" hinzusetzen.

Die Wirtschaftskrise findet im früh festgelegten Slogan des DGB keinen Widerhall, dafür aber umso mehr in den Reden zum 1. Mai. Mitten in der Krise hoffen die Gewerkschaften mit noch rund 6,4 Millionen Mitgliedern auf mehr Einfluss in Politik und Betrieben.

Organisatorisch können sie sich auf ein solides Fundament verlassen. Der jahrelange Schrumpfungsprozess ist 2008 fast zum Stillstand gekommen (siehe Grafik): Einzelne DGB-Gewerkschaften wie die GEW (Erziehung) und die GdP (Polizei) hatten wieder Mitgliederzuwachs, die übrigen konnten ihre Positionen in den Betrieben ausbauen.

Von der von DGB-Chef Michael Sommer befürchteten Radikalisierung ist vorerst aber wenig zu spüren, die Stimmung scheint besser zu sein als die desolate wirtschaftliche Lage. Mit aller Macht versucht die Große Koalition vor der Bundestagswahl, möglichst viele Menschen in ihren Jobs zu halten, über die Bundesagentur für Arbeit werden Millionen Euro Kurzarbeitergeld verteilt. Das sei im Sinne der Sozialpartner, sagt der Berliner Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller: "Arbeitnehmer wie Arbeitgeber spielen auf Zeit. Die sitzen da und hoffen, dass die sozialen Netze halten und der Kelch an ihnen vorübergeht."

In der besonders angeschlagenen Metall- und Elektroindustrie ist es der IG Metall gelungen, sich als verlässlicher Partner zu etablieren. Ihre Vertreter reden mit, wenn es um die Rettung tausender Arbeitsplätze geht wie zum Beispiel bei Opel oder dem Zuliefer-Riesen Schaeffler. Für die politische Unterstützung verlangt Deutschlands mächtigste Gewerkschaft nicht den Kniefall einer Milliardärin, sondern mehr Mitbestimmung in dem bislang eher patriarchalisch geführten Familienunternehmen.

Neben der Sicherung der Arbeitsplätze steht der Mindestlohn ganz oben auf der Agenda der Gewerkschaften, ein eingängiges Mittel gegen die weitere Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Auch die Forderung nach mehr staatlichen Hilfen zur Stützung der Konjunktur standen auf den Zetteln der Mai-Redner. Sie ist allerdings intern nicht ganz unumstritten, wie Kritik des IG-BCE-Chefs Hubertus Schmoldt deutlich macht. Müller resümiert: "Eine Gesamtstrategie wie etwa in den 50er Jahren mit der Forderung nach Errichtung eines Bundeswirtschaftsrates oder ähnliches ist nicht erkennbar. Bisher gibt es nur punktuelle Vorstöße."

Die IG Metall interpretiert den Kollaps der Weltwirtschaft nicht als konjunkturelles Problem, sondern als System-Krise. "Die grenzenlose Profitgier als vermeintliche Triebfeder menschlichen Fortschritts darf nicht weiter die Wirtschaft bestimmen", heißt es im "Frankfurter Appell" der Organisation. Ähnlich liest es sich im Aufruf des DGB zum 1. Mai. Die Verantwortlichen glauben viele zu kennen: In Frankfurt lief der Protestmarsch in diesem Jahr mitten durchs Bankenviertel.

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