Analyse: Darf der Staat eine Straftat provozieren?

US-Ermittler haben Pädophile zur Tat angestiftet. Auch hierzulande kennt man den Lockspitzel.

Düsseldorf. Mit außergewöhnlichen Ermittlungsmethoden geht die US-Justiz gegen Kindesmissbrauch vor. Ermittler bieten via Internet ein elfjähriges Mädchen für einen sexuellen Missbrauch an. Das Mädchen gibt es in der Realität gar nicht. Männer aus der ganzen Welt melden sich. Mit einigen wird man sich einig, die Kunden sollen 1150 Dollar bezahlen. Sie reisen in die USA, dort schnappen die Handschellen zu. Und ein amerikanisches Gericht verurteilt sie.

So erging es nicht nur einem 50-Jährigen aus Baden-Württemberg, der 18 Jahre in Haft muss. Auch ein 63-jähriger Frauenarzt, der früher in Schwalmtal praktizierte, wurde in Cleveland verurteilt. Das am Freitag verkündete Strafmaß lautet auf 15 Jahre.

Über die Verwerflichkeit des Tuns oder der Absichten der Männer muss nicht diskutiert werden. Dennoch bleibt eine zentrale Frage. Und die würde, wenn es um eine andere Tätergruppe ginge, wohl viel vernehmbarer gestellt: Ist so ein Urteil richtig — wenn der Staat selbst es eingefädelt hat, dass eine Straftat begangen wird? Schließlich wäre ohne die Initiative der Ermittler überhaupt nichts passiert.

Dem halten die US-Behörden nicht nur entgegen, dass die so Überführten die Taten offensichtlich begehen wollten. Die Verfahrensweise soll Menschen aus dem Verkehr ziehen, die entsprechende Taten begehen würden. Und darüber hinaus der Abschreckung anderer dienen.

Ganz fremd sind auch dem deutschen Strafrecht solche Fälle nicht. Es geht um den sogenannten Lockspitzel oder „agent provocateur“. Auch in Deutschland ist es schon vorgekommen, dass der Staat, der ja Straftaten eigentlich verhindern oder jedenfalls ahnden soll, die Tat selbst provoziert. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte 1999 diesen Fall zu entscheiden, in dem es um das Drogenmilieu ging: Eine Vertrauensperson der Polizei sprach den später Angeklagten darauf an, ob er jemanden kenne, der ihm Kokain besorgen könne. Mehrfach lehnte der Angesprochene ab, erst bei der vierten Ansprache ging er auf das Angebot ein. Die Falle schnappte zu, er wurde zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Der BGH segnete das Urteil grundsätzlich ab, denn der Angeklagte war ja tatsächlich straffällig geworden. Allerdings liege hier auch ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens vor. Daher sei die Strafe in einem solchen Fall zu mildern.

Von milden Strafen, jedenfalls in den Missbrauchsfällen, hält Steven Dettelbach, der zuständige Staatsanwalt von Cleveland, nichts: „Die Fälle zeigen, wie weit Menschen gehen, um solche entsetzlichen Verbrechen zu begehen. Wir werden wachsam sein, um die Verletzlichsten unter uns zu beschützen.“

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