Analyse: Belgien zwischen Schock und Hoffnung

Nach der Parlamentswahl spielt ein Nationalist die zentrale Rolle bei der Regierungsbildung.

Brüssel. Es ist eine gewaltige Erschütterung, die Belgien erfasst hat. Der unerwartet klare Sieg des flämischen Nationalisten Bart De Wever stellt das Land vor die Existenzfrage. 180 Jahre nach seiner Gründung ist Belgien tief in zwei Teile gespalten - und fürchtet sich vor der Unregierbarkeit.

Ein Nationalist, der sich für die Unabhängigkeit Flanderns und damit für die Spaltung Belgiens einsetzt, wird nun an einer Regierung beteiligt sein. Mit klaren Worten hat der Flame im Wahlkampf gesagt, was er von der Einheit Belgiens hält - nichts: "Belgien ist ein gescheitertes Land." Das Amt des Premiers will der 39-Jährige aber nicht haben. "De Wever ist der neue Spieler in der belgischen Politik. Wird er auch ihr Totengräber sein?", fragte die Zeitung "Le Soir" besorgt.

Es drängen sich Parallelen zum Nachbarland Niederlande auf, wo der Rechtspopulist Geert Wilders bei den Wahlen in der vergangenen Woche Erfolge feierte. Doch der Belgier De Wever ist kein Rechtspopulist wie Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider, weil er kein fremdenfeindliches Programm verfolgt. Zudem kann er im Alleingang gar nichts erreichen: Für seine Reformen, die eine Verfassungsänderung notwendig machen, braucht er Partner. Zum Beispiel die Sozialisten.

De Wever hat den Frankophonen indirekt das Amt des Regierungschefs angeboten - wenn sie ihm in der Autonomiefrage entgegenkommen. Der Chef der französischsprachigen Sozialisten, Elio Di Rupo, hat Aussichten auf den Posten. Seine Partei wurde stärkste Kraft in der Wallonie. Allerdings denkt Di Rupo nicht an eine Spaltung.

So ist es ein ungleiches Paar, das das Schicksal des Landes in den Händen hält. Auf der einen Seite Bart De Wever, der als erstes das belgische Sozialsystem reformieren, sprich den Wallonen den Geldhahn zudrehen will. Bislang fließen Schätzungen zufolge jährlich sieben Milliarden Euro aus dem wohlhabenden Flandern ins verarmte Wallonien. Das sorgt für viel Unmut bei den Flamen.

Auf der anderen Seite Di Rupo. Er warnte vor Autonomiebestrebungen: "Die Bürger haben gezeigt, dass sie eine Gesellschaft des Egoismus ablehnen." Immerhin haben auch in Flandern gut 70 Prozent der Menschen nicht für die N-VA und ihre separatistische Politik gestimmt.

Zentrales Thema der Reform wird die Sprachen-Regelung im Umland der Hauptstadt Brüssel sein. Die flämischen Nationalisten wollen den Wahl- und Gerichtskreis Brüssel-Halle-Vilvoorde aufspalten, weil ihnen die Sonderrechte der französischsprachigen Bürger ein Dorn im Auge sind. Wie diesen Partnern eine Staatsreform gelingen soll, ist vielen Belgiern schleierhaft.

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