Analyse: Atommacht Pakistan gleitet ins Chaos ab

Mit der Ermordung des einzigen christlichen Ministers im Kabinett demonstrieren die Islamisten ihre Macht.

Islamabad. Wieder schlugen die Attentäter mitten in der pakistanischen Hauptstadt zu, und wieder ermordeten sie einen Kritiker des Blasphemie-Gesetzes: Am Mittwoch starb Shahbaz Bhatti im Kugelhagel islamistischer Angreifer, der Minister für Minderheiten war der einzige Christ im Kabinett. Erst vor zwei Monaten hatte ein Leibwächter den Gouverneur Salman Taseer erschossen. Der Grund: Taseers Kritik an dem Gesetz. Die Islamisten in Pakistan werden immer mächtiger. Die Atommacht droht vollends ins Chaos zu stürzen.

Nach dem Mord an Taseer hätte die Regierung unter der Volkspartei PPP guten Grund gehabt, gegen die Islamisten durchzugreifen. Sie tat es nicht — und beugte sich den Mullahs, die die Macht auf den Straßen längst erobert haben. Viele Liberale sind abgetaucht, sie fürchten um ihr Leben.

Minister Bhatti gehörte zu den wenigen Liberalen, die den Mut hatten, sich auch nach Taseers Tod kritisch zu äußern. „Wie lange wollen wir noch dabei zuschauen, wie unschuldige Menschen unter diesem Gesetz getötet werden?“ Bhatti betonte, dass es ihm nicht um die Legalisierung von Gotteslästerung gehe.

Er forderte lediglich Änderungen, um Missbrauch zu verhindern. Oft wird das Gesetz benutzt, um Rivalen aus dem Weg zu räumen. Eine Anzeige reicht oft, um den Beschuldigten in U-Haft zu bringen. Zwar ist in Pakistan noch nie die Todesstrafe wegen Blasphemie vollstreckt worden. Beschuldigte sind aber in mehreren Fällen nach ihrer Freilassung gelyncht worden.

Ein Blasphemie-Vorwurf, der Schlagzeilen machte, ist der gegen die Christin Asia Bibi. Ein Gericht hatte sie 2010 zum Tode verurteilt, das Oberste Gericht prüft den Fall nun. Taseer und Bhatti gehörten zu den prominentesten Unterstützern Bibis im Land. Islamisten fordern, dass sie gehängt werden soll. Das würde Pakistan einen dramatischen Ansehensverlust im Westen bescheren.

Und der schwachen Regierung steht eine weitere Machtprobe mit den mächtigen Mullahs bevor: Sollte der Taseer-Attentäter Mumtaz Hussain Qadri wegen Mordes verurteilt werden, drohen Massenproteste. Qadri wird von weiten Teilen der Bevölkerung für seine Tat gefeiert.

Die Regierung ist schon jetzt kaum noch handlungsfähig. „Wen oder was die PPP noch regiert, weiß man eigentlich nicht mehr“, sagt die Landeschefin der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore, Britta Petersen. „Sicher nicht mehr das Land.“

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