Als die SPD die Wende schaffte

Vor 50 Jahren vollzog die Partei einen Wandel, mit dem sie sich mit den herrschenden Verhältnissen versöhnte.

Düsseldorf. Wenn die SPD am Wochenende auf ihrem Parteitag in Dresden nach Wegen aus ihrer Existenzkrise als Volkspartei sucht, will es die List der Geschichte, dass dieses Treffen exakt ein halbes Jahrhundert nach einem Parteitag stattfindet, der die zentrale Wegscheide der SPD markierte: In der Stadthalle von Bad Godesberg verabschiedeten am 15. November 1959 die Delegierten das Godesberger Programm, das der SPD eine Totalrevision ihrer theoretischen Grundlagen und ihrer praktischen Politik verordnete. Godesberg galt seither als der Nachweis sozialdemokratischer Regierungsfähigkeit und führte wenig später auch zur ersten Großen Koalition Kiesinger/Brandt.

Bis Godesberg galt das stark marxistisch orientierte Heidelberger Programm von 1925. Es legte die Partei auf den "erbitterten Klassenkampf" fest, forderte "die Abschaffung der Klassenherrschaft" und die "sozialistische Gesellschaft". Kurt Schumacher, der erste Nachkriegs-Parteichef der SPD, stand trotz oder wohl gerade wegen seiner Ablehnung der stalinistischen Gewaltherrschaft in der Tradition der marxistischen Theorie.

Ein neues Programm hielt er für entbehrlich, seine feste Überzeugung, die SPD werde die ersten Wahlen 1949 überlegen gewinnen, aber wurden bitter enttäuscht: nur 29,2Prozent erhielt die SPD, die Union mit 31 Prozent konnte die Regierung stellen.

Schumacher und die SPD blieben in Fundamentalopposition zum "Adenauer-Staat": Vom "Kanzler der Alliierten" sprach Schumacher, die SPD stand - auch nach Schumachers Tod 1952 - gegen Westbindung und Wiederbewaffnung. Doch auch 1953 erhielt die SPD nur 28 Prozent, und die Wahl 1957 wurde zum regelrechten Schock - die Union erreichte die absolute Mehrheit, die SPD blieb bei damals traurigen 31 Prozent, selbst vom KPD-Verbot 1956 konnte sie kaum profitieren.

Die SPD war in der Krise. Willi Eichler und - für die wirtschaftlichen Fragen - der spätere Wirtschaftsminister Karl Schiller erarbeiteten deshalb im Auftrag der Parteispitze einen Programmentwurf, der die SPD mit den herrschenden Verhältnissen versöhnen sollte.

Vom 13. bis 15. November 1959 stritten die 340 Delegierten erbittert um den Entwurf. Am Ende stimmten 324 Delegierte für das neue Programm, nur 16 dagegen. Ausschlaggebend für das klare Votum war wohl Herbert Wehner, der vor dem Parteitag zu den Wortführern eines eher marxistisch ausgerichteten Programms gehört hatte, sich auf dem Parteitag aber überraschend und leidenschaftlich für die Annahme einsetzte. Nachdem klar war, dass Godesberg eine Mehrheit erhalten werde, wollte Wehner eine mögliche Spaltung verhindern.

Godesberg galt 30 Jahre und führte die SPD auch in die Regierung. Obwohl dafür nicht das Programm, sondern vor allem charismatische Führer wie Willy Brandt, Herbert Wehner oder Helmut Schmidt entscheidenden Anteil hatten.

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