Zwischen Trauer und Hoffnung: Der ängstliche Blick nach vorn

Winnenden und die Spitze der deutschen Politik haben – sichtlich bewegt – Abschied von den Opfern genommen.

Winnenden/ Wendlingen. Eine bedrückende Stille liegt über Winnenden, als in der Kirche St. Karl Borromäus am Samstag die Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufes beginnt. Nur 900 Menschen finden Platz in der Kirche - weitere 8.500 trauern im nahe gelegenen Stadion oder in Kirchen, in denen der Gottesdienst übertragen wird. Mit ihrer Anwesenheit zeigen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler, dass ganz Deutschland mit den Trauernden fühlt.

Neun Schülern, drei Lehrerinnen und drei Männern, die der Todesschütze erschoss, wird in St. Borromäus mit Kerzen und Rosen gedacht. Die Namen der Opfer werden verlesen, jeweils zwei Schüler der Albertville-Realschule bringen Kerzen und Blumen zum Altar.

Da ist ein Licht für Nina M., die Lehrerin, die auf dem Flur ihrer Schule starb, als sie den Amok-Schützen aufhalten wollte. Da ist ein weiteres für die 17-jährige Nicole N., die selbst als Ministrantin in der Kirche tätig war. Ganz fest hält ihre Mitschülerin auf dem Rückweg vom Altar das Kreuz an ihrer Halskette, so als ob sie dadurch Kraft für den schweren Gang schöpfe.

Sie trägt wie weitere 150 teilnehmende Schüler ein schwarzes T-Shirt mit dem Schullogo und dem Satz "Ich habe einen Traum". Mit dem Tod der Schüler seien auch ihre Träume zerstört worden, sagt Schulleiterin Astrid Hahn. Von den Schülern entworfene Symbole - ein Herz, ineinander verschlungene Ringe, Fußabdrücke - stehen für Gefühle und Hoffnungen wie achtsames Zusammenleben, Hilfsbereitschaft, Vertrauen.

Über ein Chiffon-Gewand sagt Hahn: "Das Tanzkleid steht für Lebensfreude. Ich habe einen Traum, dass uns geholfen wird, dass wir dem Leben wieder trauen und Freude daran spüren können." Für den 17 Jahre alten Amokläufer Tim K. wird keine Kerze aufgestellt.

Fürbitten werden unter anderem von einem Arzt, einem Polizisten, einer Seelsorgerin und einem Lehrer vorgetragen. Sie vertreten die, die durch ihre Hilfe das Leid unermüdlich zu mindern suchen. Eine der Bitten gilt dem Täter und seiner Familie. Auch die Eltern und die Schwester von Tim K. sollten Menschen um sich haben, die ihnen beistehen, heißt es. Erinnert wird an Jesu Worte am Kreuz: "Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Auch Landesbischof Otfried July erwähnt den Todesschützen: "Abgeschieden von den Opfern, wird auch dieses Bruchstück eines Lebens vor Gott gestellt." Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) mahnt: "Nicht nur die Opfer kamen aus unserer Mitte, auch der Täter."

Im Herbert-Winter-Stadion in Winnenden verfolgen 4.000 Menschen den Gottesdienst auf drei großen Bildschirmen. Viele Schüler sind ins Stadion gekommen, um gemeinsam um die Opfer zu trauern. Viele Geschäfte in Winnenden sind geschlossen, Trauerflor weht an Bäumen und Markisen. Gesprochen wird wenig. Am Ortseingang steht ein vier Meter hohes Transparent: "Wir trauern".

Von heute an gilt für die Schüler der Albertville-Realschule wieder die Schulpflicht. In ihr altes Gebäude, das zum Tatort geworden ist, werden sie zumindest vorerst aber nicht zurückkehren.

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