Zum Tod der Queen Das große Geheimnis der Elizabeth Windsor

Königin Elizabeth II. besaß auf den ersten Blick keine herausragenden Fähigkeiten oder Talente. Dennoch wird sie jetzt auf der ganzen Welt betrauert. Was war ihr Erfolgsgeheimnis?

Ohne viele Worte gab die die Queen vielen Menschen halt.

Ohne viele Worte gab die die Queen vielen Menschen halt.

Foto: dpa/Akira Suemori

Nachts waren Millionen Briten bei der Queen zum Tee eingeladen. 1992 wurde eine Umfrage veröffentlicht, wonach Elizabeth II. etwa einem Drittel der Bevölkerung regelmäßig im Traum erschien, darunter auch überzeugten Republikanern und Kommunisten. Vielleicht zeigt das am deutlichsten, wie allgegenwärtig diese Frau in den vergangenen Jahrzehnten gewesen ist: Sogar wenn ihre Untertanen schliefen, waren sie noch von ihr inspiriert.

Die Präsenz dieser Frau war enorm. Das zeigt die Trauer, mit der nun rund um den Erdball auf ihren Tod reagiert wird. Die Beileidsbekundungen sind so allgemein und wirken vielfach so authentisch, dass man fast vom großen Weltschmerz sprechen kann. Kulturübergreifend ist ein Verlustgefühl spürbar. Dabei sollte durchaus die Frage erlaubt sein: Warum ist das so?

Schließlich besaß Elizabeth Windsor keine auffälligen Begabungen. Sie hat keine wissenschaftlichen oder sportlichen Leistungen vollbracht. Sie hatte kein besonderes künstlerisches oder rednerisches Talent. Ja, manche ihrer Eigenschaften hätten sogar von Nachteil sein können, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen: So war sie mit einer Körpergröße von vermutlich zwischen 1,50 und 1,60 Metern eher klein und hatte eine eher piepsige Stimme. In der fiktionalen Serie „The Crown“ wirkt sie streckenweise einfach nur öde. Und doch wurde ihr am Ende ihres Lebens nahezu ausnahmslose Verehrung zuteil. Was war ihr Erfolgsgeheimnis?

Ein wesentlicher Grund war sicherlich einfach ihre Langlebigkeit, ihre pure Überlebensenergie. Die Queen war immer schon da. Als sie 1952 den Thron bestieg, lagen die deutschen Städte immer noch zu einem großen Teil in Trümmern, Homosexualität war strafbar, und Konrad Adenauer befand sich in seiner ersten Legislaturperiode als Bundeskanzler. Es ist schlicht kaum vorstellbar, welch ungeheuren Zeitraum die Queen im Amt überbrückt hat.

Charles III. feierlich als neuer König ausgerufen
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Praktisch alles hat sich in dieser Zeit geändert - nur sie ist geblieben, wie sie war. Die Handtasche, der Hut, das Kopftuch. Im Bruchteil einer Sekunde war sie erkennbar. Diese Kontinuität dürfte eine ungeheuer stabilisierende Wirkung auf die Psyche von Millionen Menschen gehabt haben. Zumal die Beständigkeit auch noch dadurch verstärkt wurde, dass die Queen immer zur selben Jahreszeit am selben Ort war: Den Sommerurlaub verbrachte sie auf Schloss Balmoral, die Weihnachtsferien auf dem Landsitz Sandringham.

Die Queen war sich dieser Rolle bewusst. Als sie einmal inkognito in einem Teegeschäft in Norfolk einkaufte und ihr eine Kundin sagte, sie sehe der Königin ja in verblüffender Weise ähnlich, antwortete sie: „Wie beruhigend.“

Ihr schieres Dasein kann aber nicht der einzige Grund ihres Erfolgs gewesen sein, denn es hätte ja auch sein können, dass die Leute diese spätfeudale Corgihalterin mit ihrem unverschämt großen Vermögen aus jahrhundertelanger Klüngelei des englischen Erbadels einfach mal leid geworden wären. Dass dem nicht so war, erklärt sich wohl aus einer anderen Haupteigenschaft der Queen - einer Eigenschaft, mit der sie in ihrem letzten Lebensabschnitt den denkbar größten Kontrast zum Twitter-Zeitgeist bildete: Sie gab nie eine Meinung ab, und sie setzte nicht auf Emotionen.

Ihr unterkühlter Charme war berühmt, mitunter auch berüchtigt. Mitarbeiter haben zum Beispiel berichtet, dass sie kleine Korrekturen an vorformulierten Ansprachen anzubringen pflegte. Wenn sie zum Beispiel irgendwo in der Provinz wieder irgendein Krankenhaus oder eine Brücke eröffnete und im Manuskript stand „Ich freue mich sehr, heute hier zu sein“, dann konnte man sicher sein, dass sie das „sehr“ herausstrich. Too much. Im Zeitalter der schrillen Übertreibung war sie der Inbegriff des britischen Understatements.

Damit ging auch eine gewisse Immunität gegenüber Lob und Preis einher. Man könnte sich ja durchaus vorstellen, dass man größenwahnsinnig wird, wenn man sieben Dekaden lang an der Spitze eines bedeutenden Staates steht. Doch diese Gefahr hat bei der Queen nie bestanden. Sie war sicherlich von ihrer Mission überzeugt, aber sie nahm sich im Alltag nicht übertrieben wichtig. Als ihr vor Jahren eine Frau vorgestellt wurde, deren Handy ausgerechnet in diesem Augenblick penetrant durchklingelte, sagte sie schließlich zu ihr: „Sie sollten drangehen. Vielleicht ist es jemand Wichtiges.“

„Das Wort ist der Feind des Geheimnisvollen“, heißt es bei Thomas Mann, und wie recht er damit hatte, hat die Queen gezeigt. Natürlich, manchmal wandte sie sich ans Volk und sagte dann mitunter genau das Richtige, so wie während der Corona-Pandemie, als sie den Menschen versicherte, dass die Phase der Einsamkeit durch Selbstisolierung nicht ewig dauern werde. Aber aufs Ganze gesehen hat sie vor allem geschwiegen und damit Abnutzungserscheinungen vorgebeugt. Hier hält sie womöglich eine Lektion für alle Liebhaber der sozialen Netzwerke parat: Man kann weit kommen, wenn man nichts sagt.

Im Fernsehen werden nun fast in Dauerschleife die Bilder ihrer Lebenshöhepunkte gezeigt. Pomp and circumstance. Aber das war natürlich nicht der Alltag. Der Alltag waren fade Termine irgendwo weit draußen. Was sich Elizabeth aber nie anmerken ließ: Die Bürgerinnen und Bürger, die das Glück hatten, für einige kurze Momente persönlich mit ihr Bekanntschaft zu machen, haben fast gleichlautend berichtet, dass sie ihnen dabei stets das Gefühl vermittelte, sich wirklich für sie zu interessieren.

So hat die Queen all die Jahre in erster Linie ihre Arbeit gemacht. Wie fast jeder Mensch hat sie gute und schlechte Zeiten erlebt. Man verdrängt jetzt schnell, dass sie nicht immer beliebt war, so galt sie 1997 nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana als herzlos und aus der Zeit gefallen. Aber sie hat sich davon nicht demoralisieren lassen. Mit dem ihr eigenen Stoizismus hat sie einfach weitergemacht.

Diesen Geist spiegeln auch die letzten Fotos von ihr vom vergangenen Dienstag anlässlich ihres Zusammentreffens mit der neuen Premierministerin Liz Truss auf Schloss Balmoral. Auf einem der Bilder steht sie, gebeugt auf ihren Stock und schon sehr blass und fragil aussehend, vor dem offenen Kamin. Sie absolviert ihren Dienst bis zuletzt. Und sie lächelt dabei. Es ist wohl auch diese Haltung, die bewirkt hat, dass sie in den Herzen so vieler Menschen noch lange ein kleines Zimmer bewohnen wird.

(dpa)
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