Wolfgang Niedecken: „Ich wollte nie ein Berufsjugendlicher sein“

Köln. Am 30. März feiert Bap-Frontmann Wolfgang Niedecken seinen 60. Geburtstag. Schon jetzt ist seine Autobiografie „Für 'ne Moment“ erschienen.

Herr Niedecken, Sie feiern Ende des Monats Ihren 60. Geburtstag. Wie fühlt man sich da?

Wolfgang Niedecken: Normalerweise denke ich über das Thema überhaupt nicht nach. Aber nachdem wir Ende 2009 mit der Autobiografie angefangen hatten, blieb mir nichts anderes übrig. Aber ich blicke mit den gleichen Augen in die Welt, mit denen ich vor 30 Jahren auch geguckt habe. Dahinter haben sich viele Erfahrungen angesammelt, was einem im Leben sehr helfen kann. Zweifellos ist es schöner, jung zu sein. Eines der größten Probleme beim Älterwerden ist, dass die Einschläge immer näher kommen und man immer mehr gute Freunde vermisst.

Denkt man da auch selbst über den Tod nach?

Niedecken: Ja, aber nicht so, dass es einem das Leben vergrault. Aber es ist nicht schön, Freunde zu verlieren. Dazu gehört auch Effjott Krüger, der Gitarrist von Ideal, ein ganz lieber Freund, der bei uns zu Hause aus und ein ging. Der wird nie wieder bei uns in der Küche stehen und für uns kochen. So etwas macht nicht nur mich sehr traurig.

Hat man es als Rockmusiker leichter mit dem Alter?

Niedecken: Durch die Medien und vor allem durch die Werbung sind wir alle dem Jugendlichkeitswahn ausgeliefert. Deshalb ist man als Rockmusiker eigentlich immer gehalten, bloß nicht über das Alter zu reden. Und da ich ein kleiner Trotzkopf bin, ist mir das völlig egal. Denn wer mich mit grauen Schläfen nicht will, der kriegt mich überhaupt nicht. Ich kokettiere nicht mit dem Alter, ich gehe offensiv damit um. Ich wollte noch nie ein Berufsjugendlicher sein. Solche Leute waren mir immer befremdlich.

Was bedeutet für Sie Ihre Heimatstadt Köln?

Niedecken: Am angenehmsten ist mir im Zusammenhang mit dem Begriff Heimat der des Heimathafens. Da kann man ankommen und fühlt sich geborgen, kann aber auch wieder wegfahren. Eine Heimat wie eine Hundehütte, an der man fest gekettet ist, wäre mir äußerst unangenehm. Mit so einer Heimat kann ich nichts anfangen.

In Ihrer Autobiografie steigen Sie mit einem Aufenthalt in New York ein. Sind Sie jemand der Fernweh hat?

Niedecken: Fernweh hatte ich schon von Kindesbeinen an. Das fing mit dem Moment an, als meine Mutter mir erlaubt hat, über die Südbrücke auf die Poller Wiese zum Spielen zu gehen. Ich habe stundenlang auf der Brücke gestanden und mir vorgestellt, wohin die Züge fahren. Ich wäre zu gern im Bremserhäuschen mitgefahren. Ähnlich erging es mir auch mit den Schiffen auf dem Rhein.

Diese Sehnsucht ist nie vergangen. New York hat für Sie dabei eine besondere Rolle gespielt?

Niedecken: Ja, das war als Jugendlicher ein Sehnsuchtsort für mich. Als ich 1974 zum ersten Mal da war, gab es dort eine ungeheuer lebendige Künstlerszene und ich war mitten drin. Dass Oliver Kobold damit das Buch angefangen hat, war eine gute Idee, denn ich mag Biografien, die mit der Geburt starten überhaupt nicht. Es gab Kriterien dafür, was mein Buch definitiv nicht sein soll: Es soll keine Abrechnung sein, es soll keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, es soll kein Verzeichnis von großen Erfolgen sein und es soll vor allem nichts drin stehen, was mich langweilt.

Sie schildern in einigen Kapiteln Dinge, die für Sie sicher nicht unproblematisch sind, wie die Misshandlungen und den Missbrauch im Internat Rheinbach.

Niedecken: Mit dieser Geschichte bin ich schon vor mehr als 20 Jahren rausgegangen, ich habe sie sowohl in dem Song „Nie met Aljebra“ als auch in dem Buch „Auskunft“ verarbeitet. Das Ganze hat bei mir zum Glück keine bleibenden Schäden hinterlassen, hat mich auch nicht zu einem verklemmten Menschen verbogen. Mich hat in jener Zeit die Musik von Bands wie den Beatles oder den Rolling Stones stark gemacht und mir so etwas wie eine Rüstung gegeben. Darüber habe ich meine Identität gefunden und mein Missbrauch war auch bei weitem nicht so dramatisch, wie bei vielen anderen Schülern. Der Pater hat uns geschlagen und gequält und es in seinem Psychoterror-System nur bis zum Befummeln gebracht.

Ihr Vater hat damals dafür gesorgt, dass der Pater aus Ihrem Leben verschwinden musste.

Niedecken: Leider wurde der Mann nur versetzt und nicht aus dem Verkehr gezogen. Aber das war halt das Denken dieser Zeit, in der es den Eltern zuerst einmal nur darum ging, das eigene Kind zu schützen. Dass dieser Pater in einer anderen Einrichtung genauso weiter machen könnte, daran hat damals anscheinend keiner gedacht.

Gibt es Charakterzüge ihres Vaters, die Sie inzwischen an sich selbst entdecken?

Niedecken: Ja, natürlich! Je älter ich werde und je älter auch meine Kinder werden, desto besser kann ich meinen Vater verstehen. Er war ein einfacher Junge vom Land und später das Oberhaupt einer relativ großen Familie. Er musste für den Clan die Fäden in der Hand halten und machte sich große Sorgen um seinen kleinen Schlaumeier. Er fragte sich, was aus mir mal werden sollte. Dabei wollte ich nur Musik machen und Bilder malen. Damit muss man als ganz bodenständiger Mann erst einmal klar kommen. Und je älter ich werde, um so mehr fällt mir auf, dass ich mir mit zunehmender Verantwortung ähnliche Gedanken mache.

Wie würden Sie sich selbst als Vater beschreiben?

Niedecken: Ich bin wohl kein durchschnittlicher Vater mit einem Nine to five-Job, aber einer mit relativ durchschnittlichen Vatergefühlen. Zu Hause ist das Familienoberhaupt aber klar meine Frau, weil sie alle Fäden in der Hand hält und zum Glück ein absoluter Familienmensch ist. Wenn das nicht so wäre, sähe alles anders aus. Denn ich bin jemand, der total zum Eigenbrödeln neigt. Ich würde wahrscheinlich hauptsächlich an meinem Arbeitstisch sitzen und wochenlang nicht den Raum verlassen. Ich langweile mich nie und habe immer zu tun. Ich bin anders als auf der Bühne zu Hause nicht der große Kommunikator, da bin ich eher eine Randfigur. Das ist eine Rolle, die ich sehr zu schätzen weiß.

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