Witwe von NSU-Mordopfer: Wir lassen uns nicht vertreiben
Die Plädoyers im NSU-Prozess sind so ungewöhnlich wie fast alles in diesem Mammutverfahren. Kein Tag ohne Streit über Verfahrensfragen, immer wieder emotionale Ausbrüche. Auch am Dienstag, als erstmals seit langem wieder eine Angehörige eines Ermordeten spricht.
München/Dortmund. Viereinhalb Jahre dauert der NSU-Prozess inzwischen. Das Oberlandesgericht München führt das Verfahren bisher unangefochten bis in die Schlussphase, die Plädoyers. Die dauern jetzt auch schon wieder mehrere Monate. Die Bundesanwaltschaft schloss ihr Plädoyer am 12. September ab. Seitdem geht es wieder zäh, manchmal gar nicht voran.
Wochenlang reisten Elif und Gamze Kubasik immer wieder zum Prozess nach München an, immer in der Erwartung, jetzt seien sie mit ihrem Vortrag dran. Die eine ist die Witwe, die andere die Tochter von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in Dortmund ermordet wurde. Wochenlang aber mussten die Frauen unverrichteter Dinge wieder abreisen.
Bis zu diesem Dienstag. Da endlich wartet Elif Kubasik hinter einem Tischpult, das Gerichtsdiener in einer Pause am frühen Nachmittag auf ihren Platz stellen. Sie spricht laut ins Mikrofon, auf Türkisch. Ein Dolmetscher übersetzt Satz für Satz. „Die sollen nicht denken, dass wir dieses Land verlassen werden“, sagt sie an die Adresse der Täter und ihrer Szene. Sie beschreibt das Leben mit ihrem Mann. Wie sie sich kennenlernten oder wie sie ihn als Vater erlebte.
Dann sagt sie: „Heute ist es für mich nicht leicht, diese Leute zu sehen“. Sie meint die fünf Angeklagten - Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. „Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten“ - gemeint ist Zschäpe. Und dann, als sie über Zschäpes eigene Einlassungen im Prozess spricht, sagt sie sehr laut und heftig: „Ekelhaft, einfach ekelhaft“. „Es war alles Lüge, was sie sagte.“ Und die Form ihrer Entschuldigung sei „verletzend“ gewesen: „Das war, als würde sie uns beleidigen.“
Dann übernimmt Anwalt Ilius, und gleich gibt es wieder Streit um Verfahrensfragen. Ilius wiederholt den Vorwurf des strukturellen Rassismus bei den Ermittlungsbehörden. Der habe den Blick auf die wirklichen Täter verstellt. Der Anwalt spricht von Anschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen und zählt ungeklärte Fälle auf. Da stoppt ihn ein Verteidiger. Das habe nichts mit dem Verfahren zu tun, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, einer der Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe. Niemand könne überprüfen, ob das mit diesen ungeklärten Fällen alles so stimme und ob es relevant sei. Aber am Ende lässt Richter Götzl den Nebenkläger weitermachen.