Zweites Baby in USA womöglich HIV-frei

Boston (dpa) - In den USA ist womöglich ein zweites HIV-infiziertes Kind mit einer Intensivbehandlung nach der Geburt erfolgreich therapiert worden. Das nun knapp einjährige Baby sei frei von sich vermehrenden Viren, sagte Kinderärztin Deborah Persaud von der Johns Hopkins University in Baltimore.

Zweites Baby in USA womöglich HIV-frei
Foto: dpa

Es werde aber weiter mit HIV-Medikamenten behandelt. Vor einem Jahr hatte die gleiche Gruppe von einem anderem Kind berichtet, das kurz nach der Geburt behandelt wurde, mittlerweile dreieinhalb Jahre alt ist und trotz abgesetzter Medikamente weiter keine Anzeichen von HIV zeigt.

Von einer „funktionellen Heilung“ könne erst gesprochen werden, wenn die Medikamente abgesetzt würden und dann keine erneute Virenvermehrung stattfinde, erklärte Armin Schafberger von der Deutschen Aids-Hilfe, der die Präsentation in Boston verfolgte. Das aber werde aus ethischen Gründen nicht gemacht. „Es ist nicht 100-prozentig sicher, ob sich das Virus nicht doch irgendwo versteckt.“

Das vor einem Jahr vorgestellte „Mississippi-Baby“ gilt als funktionell geheilt - eine medizinische Sensation. Das Kind einer HIV-infizierten Mutter war nach der Geburt mit einer für Kinder optimierten Kombination aus drei HIV-Medikamenten hochdosiert behandelt worden. „Zuvor wurde mit einer solchen Therapie später begonnen“, erklärte Schafberger. Offenbar sei es entscheidend, von vornherein zu verhindern, dass sich bestimmte Reservoire im Körper mit Viren füllen.

18 Monate wurde das „Mississippi-Babys“ behandelt, dann aber entzog die Mutter es einer weiteren Therapie. Erst sechs Monate später habe es wieder untersucht werden können - und sich als weiter virenfrei erwiesen, sagte Schafberger. „Da hat ein Drama Medizingeschichte geschrieben.“ Auch jetzt sei aber nicht sicher, ob das Virus nicht doch in einem Reservoir schlummere. Als solche Speicher, in denen die Erreger Jahre oder auch Jahrzehnte ruhen können, gelten demnach unter anderem Lymphgewebe, Gedächtnis-Helferzellen, Knochenmark und Gehirn.

Mit herkömmlichen Nachweismethoden werden Schafberger zufolge 20 Viruskopien in einem Milliliter Blutserum erkannt. Für genaue Analysen gibt es Spezialtests, die auch einzelne Viren aufspüren. Zudem sei mit bestimmten Methoden Viruserbgut in Blutzellen nachweisbar. „Solche Spuren können auf eine noch bestehende Infektion hinweisen, aber auch auf wirkungslose Fragmente zurückgehen“, sagt Schafberger.

In dem nun vorgestellten Fall war ein nahe Los Angeles geborenes Baby bereits vier Stunden nach der Geburt mit einer hohen Dosis eines Dreifachwirkstoffs behandelt worden. Die Virenzahl sei daraufhin binnen weniger Tage geschwunden, berichtete Persaud. Sie warnte aber davor, von einer Heilung oder dauerhaften Verdrängung des Virus auszugehen.

Auf der Tagung in Boston seien Ergebnisse zu weiteren sehr früh behandelten Babys vorgestellt worden, bei denen es ähnliche Effekte gebe, sagte Schafberger. Weltweit probierten Mediziner derzeit, Kinder möglichst früh zu therapieren - auch in Deutschland. Nach der erneuten Erfolgsmeldung aus den USA sei zu erwarten, dass für mehr Fälle genauer untersucht werde, ob der HIV-Erreger noch im Körper steckt.

„Die zentrale Frage bleibt: Was machen wir jetzt?“ Ein Absetzen der Medikamente komme derzeit kaum infrage, viel Hoffnung werde deshalb auf verbesserte Nachweismethoden gesetzt. „Je sicherer es ist, dass kein Virus mehr da ist, desto eher lässt sich versuchen, die Präparate testweise abzusetzen.“

In der Vergangenheit gab es bereits Hinweise darauf, wie wichtig eine frühe Behandlung ist. In Frankreich starteten die 14 HIV-positiven Teilnehmer der sogenannten Visconti-Kohorte die antiretrovirale Therapie schon relativ kurz nach der Infektion - und nicht wie gewöhnlich erst Monate bis Jahre später. Nach durchschnittlich drei Jahren wurde die Therapie abgebrochen. Noch über sieben Jahre später fanden Forscher im Körper der meisten Teilnehmer kaum HI-Viren. „Diese Resultate sprechen für einen frühen Start der antiretroviralen Therapie und eröffnen neue therapeutische Perspektiven für HIV-1-Patienten“, schrieben die Forscher um Asier Sáez-Cirión vor einem Jahr im Fachblatt „PLOS Pathogens“.

Der einzige Mensch weltweit, der als von HIV geheilt gilt, ist der sogenannte Berliner Patient. Timothy Ray Brown war an Leukämie erkrankt und benötigte eine Stammzell-Transplantation. Die Ärzte der Berliner Charité fanden einen Spender, dem der sogenannte CCR5-Rezeptor fehlte - ein wichtiges Einfallstor, durch das das HI-Virus in viele Körperzellen eindringt. Mehr als fünf Jahre nach der Transplantation waren bei Brown keine Viren nachweisbar.

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