Medizin-Nobelpreis geht an gebürtigen Deutschen Thomas Südhof

Stockholm (dpa) - Für die Aufklärung der blitzschnellen Nervensignale erhält der gebürtige Deutsche Thomas Südhof (57) in diesem Jahr den Medizin-Nobelpreis. Der Neurochemiker teilt sich die Auszeichnung mit den US-Forschern James Rothman (62) und Randy Schekman (64).

Die drei Wissenschaftler haben weitgehend unabhängig voneinander wesentliche Transportmechanismen in Zellen entdeckt, deren Defekte Grundlage von Diabetes, Tetanus, degenerativen Nervenleiden und vielen anderen Krankheiten sind. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist mit insgesamt umgerechnet 920 000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.

„Das ist eine hervorragende Wahl“, sagte Franz-Ulrich Hartl, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. „Im Moment gibt es noch keine konkreten therapeutischen Ansätze, aber die Chance ist ganz erheblich, dass das passieren wird.“

In Zellen werden Botenstoffe und viele andere Moleküle oft in winzige Bläschen, sogenannte Vesikel, verpackt und zielgenau weitergeleitet. „Ohne diese wunderbar präzise Organisation würde die Zelle im Chaos versinken“, schreibt das Nobel-Komitee. Viele neurologische Krankheiten gingen ebenso auf Defekte in diesem System zurück wie Immunstörungen und Diabetes, erläuterte die Vorsitzende des Komitees, Juleen Zierath.

Südhof - der sich mit dem Auto auf dem Weg zu einer Konferenz in Spanien gerade verfahren hatte - reagierte ungläubig und ergriffen auf den Anruf aus Stockholm. „Ich muss das hier immer noch verdauen, es tut mir leid“, sagte er. „Diese Ehre ist unglaublich schön. Vielen Dank.“ Seine Arbeitswut löse in seinem Umfeld manchmal Kopfschütteln aus. „Meine Frau denkt, ich bin verrückt. Ich bin unglaublich getrieben“, sagte Südhof. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich genieße, was ich tue.“

Der Neurochemiker wuchs in Göttingen und Hannover auf und machte an einer Waldorfschule Abitur. Er studierte in Aachen und Göttingen, wo er 1982 seine Doktorarbeit abschloss. Danach ging er zunächst an die Universität von Texas, seit 2008 arbeitet er an der Stanford Universität. Ungeachtet seiner langen US-Karriere blieb Südhof nach Meinung von Kollegen „in vieler Hinsicht typisch deutsch“. Seine Auszeichnung wollte der Wissenschaftler ausgelassen feiern. „Also, ich glaube, wir machen 'ne richtige Party.“

Was hat Südhof genau erforscht? „Wenn wir denken, werden Substanzen von einem Neuron zu einem anderen freigesetzt“, erklärte Komitee-Mitglied Jan Andersson. „Südhof hat herausgefunden, wie das Freisetzen kontrolliert wird. Also wie man seine Gedanken und Bewegungen kontrollieren kann.“ Sein ehemaliger Mitarbeiter Nils Brose, Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen, sagte, Südhof sei „eine sehr starke und fordernde Persönlichkeit“, ehrlich und in seiner Kritik stets konstruktiv.

Der Amerikaner Schekman hatte erst am vergangen Donnerstag die Otto-Warburg-Medaille in Frankfurt/Main erhalten - für Forschungsergebnisse zu Transport-Prozessen in Zellen. „Ich war gerade aus Deutschland zurückgekommen und hatte meiner Frau stolz die Warburg-Medaille gezeigt, die ich gerade in Frankfurt bekommen hatte“, sagte Schekman. Er forscht derzeit an der Yale Universität in New Haven. Nach kurzem Schlaf und dem Nobel-Anruf um 01.30 Uhr Ortszeit habe er erst einmal seine Gedanken ordnen müssen. Stärker als die Freude sei die Überraschung gewesen: „Mein erster Gedanke war: "Mein Gott!" Und das war auch mein zweiter Gedanke.“

Schekman hatte in Hefezellen Gene entdeckt, die für das Transportsystem in Zellen wichtig sind. Rothman fand in Säugetierzellen spezielle Proteine auf den Vesikeln, die - ähnlich wie bei einem Reißverschluss - genau zu Proteinen der Zellmembran passen. Finden sich passende Paare, öffnet sich das Bläschen und entlässt seine Fracht. Auf den Lorbeeren ausruhen will Rothman sich nicht. „Ich habe mich heute mit meinen Kollegen getroffen und gesagt: "Liebe Leute, es ist noch nicht vorbei".“

Nützlich seien die Erkenntnisse des Forscher-Trios etwa bei schweren Immunkrankheiten von Kindern, so Nobel-Komitee-Mitglied Jan Andersson. Weil entscheidende Gene identifiziert seien, könne man innerhalb weniger Tage feststellen, wo genau eine Funktionsstörung liege und dann in das Immunsystem eingreifen.

Um die Staatsangehörigkeit von Südhof herrschte Verwirrung. „Ich bezweifle, dass ich juristisch gesehen deutscher Staatsbürger bin, aber ich weiß es nicht“, sagte der Forscher. Von deutschen Behörden kamen widersprüchliche Aussagen. Südhof lebt seit 1983 in den USA und hat die US-Staatsbürgerschaft angenommen. „Ich bin gerne Deutscher, aber ehrlich gesagt, um solche Sachen habe ich mich nie so richtig gekümmert.“

An diesem Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises benannt. Die feierliche Überreichung findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

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