„Erben des Prometheus“: Symbolischer Start für Wendelstein 7-X

Greifswald (dpa) - Sonne als Vorbild: Die Verschmelzung von Atomkernen als mögliche alternative Form der Energiegewinnung wird an einer neuen Testanlage in Mecklenburg-Vorpommern erforscht.

Nach neun Jahren ist die Hauptmontage des von EU, Bund und Land finanzierten Kernfusionsexperiments „Wendelstein 7-X“ in Greifswald abgeschlossen. In dem 725 Tonnen schweren, ringförmigen Plasmagefäß soll von 2015 an die Verschmelzung von Atomkernen ähnlich den Prozessen auf der Sonne erforscht werden.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger, Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (beide CDU) und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) waren am Dienstag angereist, um den Vorbetrieb der Fusionstestanlage im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) symbolisch zu starten. Oettinger verteidigte in seiner Ansprache die Ausgaben für die Kernfusionsforschung angesichts des steigenden Energiebedarfs bei einer wachsenden Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten. „Das heutige Datum macht Mut“

Bundesforschungsministerin Wanka sprach von den „Erben des Prometheus“, wenn die Kernfusion als Nachahmung der Sonnenprozesse gelingen sollte. Gegnern der Kernfusion in Deutschland warf Wanka „Arroganz“ vor. Als reiche Industrienation sei Deutschland dafür verantwortlich, an der Lösung globaler Energieprobleme mitzuarbeiten, sagte sie.

Die Kernfusion als neue Form der Energiegewinnung ist umstritten. Die Grünen sehen in ihr ein Hemmnis der Energiewende. Bislang ist es trotz der weltweiten Milliardenausgaben und Forschungsanstrengungen nicht gelungen, ein Fusionsfeuer über einen längeren Zeitraum zu zünden. Die längste Entladung mit zwei Sekunden gelang 1997 in der Testanlage JET im britischen Culham, bei der eine Fusionsleistung von 16 Megawatt erzeugt wurde.

Die Gesamtkosten für das Greifswalder Fusionsexperiment - der weltweit größten Testanlage vom Typ „Stellerator“ - hatten sich wegen der längeren Bauzeit von rund 500 Millionen auf über eine Milliarde Euro mehr als verdoppelt.

Allein der Bau des mit 70 supraleitenden Magnetspulen ausgestatteten Ringes war technologisches Neuland und kostete 370 Millionen Euro. In ihm soll ein bis zu 100 Millionen Grad heißes Plasma berührungsfrei fließen - Voraussetzung dafür, dass Atomkerne ähnlich den Prozessen der Sonne verschmelzen und Energie freigeben können. Anders als die im Bau befindliche Fusionsanlage vom Typ „Tokamak“ im französischen Cadarche erlaubt eine Stellerator-Anlage nach Angaben des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik einen Dauerbetrieb und wäre damit grundsätzlich besser für den Kraftwerkseinsatz geeignet.

Das Vorhaben wurde nach Institutsangaben seit 1995 mit rund 201 Millionen Euro aus dem Euratom-Programm der EU, 672 Millionen Euro des Bundes und 131 Millionen Euro des Landes Mecklenburg-Vorpommern finanziert.

Die Fusionsforscher gehen davon aus, dass die Kernfusion in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die Kernspaltung als risikoarme Alternative ersetzen könnte. Die Halbwertzeit des bei der Fusion eingesetzten Tritium betrage zwölf Jahre, sagte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss. Eine unkontrollierbare Kettenreaktion wie bei der Spaltung gilt bei der Fusion als ausgeschlossen. Die Ausgangsstoffe Deuterium und Lithium seien preiswert und stünden in ausreichenden Mengen zur Verfügung.

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