Drängeln für die Wissenschaft

Um eine Panik wie bei der Loveparade zu vermeiden, stellen Freiwillige in Düsseldorf eine Massen-Veranstaltung nach.

Düsseldorf. Es ist ein ganz schönes Gewusel: 350 Menschen betreten eine schmale Kreuzung und plötzlich geht es keinen Schritt vorwärts. „Stopp! Alle gehen bitte wieder zurück auf den Ausgangspunkt“, ruft Prof. Armin Seyfried, Leiter der gemeinsamen Forschungsgruppe „Computersimulation für Brandschutz und Fußgängerverkehr“ des Forschungszentrums Jülich und der Bergischen Universität Wuppertal den Teilnehmern eines wissenschaftlichen Experiments zu.

Wie lassen sich Menschenmassen lenken, damit es nicht zu Katastrophen wie bei der Loveparade 2010 in Duisburg kommt? Das untersuchen Wissenschaftler bis Samstag in einer Messehalle in Düsseldorf. Ziel ist es, Veranstaltern, Polizei und Feuerwehr Daten für die Planung von Großveranstaltungen zu geben.

Rückblick: Um neun Uhr trudeln die ersten von 350 Teilnehmern ein, am Samstag werden 1200 erwartet. Die Zwillinge Pia und Lara Kocker (18) aus Geilenkirchen sehen es als Abenteuer. „Wir wollten wissen, wie wir reagieren, wenn wir in so einer großen Menschenmasse sind“, sagt Pia.

Der Düsseldorfer Robin Bröchler (23) studiert Geografie. „Deshalb interessiere ich mich für das Verhalten im Raum.“ Für Viele sind die 50 Euro, die sie erhalten, der größte Ansporn. Wohl wissend, dass sie den ganzen Tag auf den Beinen sein werden, tragen die meisten Turnschuhe.

Bei der Anmeldung bekommen die überwiegend jungen Menschen die wichtigste Utensilie für den Tag: einen weißen Anglerhut. „Der ist quasi Ihr Personalausweis“, erklärt Seyfried. Die Mützen müssen die Teilnehmer stets tragen, was für Erheiterung sorgt. Auf der Kappe befindet sich ein Code. Der hilft den Wissenschaftlern dabei, später die Bilder, die 24 Kameras von der Messedecke aus filmen, zu untersuchen. Sie verfolgen jeden Schritt.

Bisherige Erkenntnisse über größere Gruppen seien diffus, sagt Seyfried. „Wir tappen sogar bei der Zahl der Teilnehmer etwa bei Demos völlig im Dunkeln.“ Sein Team und er wollen an den vier Tagen Daten über die Dynamik und Stauentwicklung sammeln. „Das ist Grundlagenforschung.“

Unterstützt wird er von Kommunikationswissenschaftler Prof. Gebhardt Rusch von der Uni Siegen. „Wir wollen herausfinden, wie man den Personenfluss besser lenken kann“, erklärt er. Rusch versucht etwa, die Gruppen über Verkehrszeichen zu steuern. „Wir gehen davon aus, dass wir an erlernte Verkehrsregeln ansetzen können.“

Die Kameras fangen den Versuchsaufbau in der Mitte der Halle ein. Aus Stellwänden haben die Wissenschaftler eine Kreuzung konstruiert. „Rot nach rechts, gelb nach links“, ruft Seyfried von einer Hebebühne aus. Von allen vier Seiten sollen die Gruppen gerade auf die Kreuzung zulaufen, sie überqueren und über die andere Seite hinauslaufen. „Wenn es gefährlich wird, gebe ich ein Signal“, erklärt der Wissenschaftler.

„Nicht trödeln, aber auch nicht rennen.“ Je breiter der Eingang, umso mehr Leute treffen sich in der Mitte. „Das war jetzt schon ganz schön eng. Ich kam gar nicht vorwärts“, sagt Pia Kocker im Vorbeigehen. Doch das nächste Experiment wartet und viel Stunden Gehen und Drängeln für die Wissenschaft.

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