Antriebslos und müde: Wie depressiv sind die Deutschen?

Berlin (dpa) - Kranke Seele: Immer mehr Menschen werden wegen psychischer Probleme krankgeschrieben. Das ist das Ergebnis des DAK-Psychoreports, für den das Berliner IGES Institut die Daten zur Arbeitsunfähigkeit von rund 2,6 Millionen berufstätigen DAK-Versicherten analysiert hat.

Antriebslos und müde: Wie depressiv sind die Deutschen?
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Im vergangenen Jahr war hierzulande jeder 20. Arbeitnehmer wegen eines psychischen Leidens krankgeschrieben. Zu diesem Ergebnis kommt der DAK-Psychoreport. Ausgehend von den Daten der Versicherten sind hochgerechnet 1,9 Millionen Berufstätige betroffen. Seit 1997 hat sich die Zahl der Fehltage wegen derartiger Diagnosen demnach verdreifacht. Die meisten Arbeitnehmer fehlten wegen Depressionen.

Nach Einschätzung von Experten werden seelische Leiden lediglich besser erkannt. Dazu passt, dass psychische Erkrankungen dem Report zufolge 2014 zwar mehr Ausfalltage als in den Vorjahren verursachten, Arbeitnehmer aber zugleich seltener wegen anderer Krankheiten fehlten. „Es gibt heute nicht mehr psychisch kranke Menschen als vor zehn oder zwanzig Jahren“, sagt Hans-Peter Unger vom Zentrum für seelische Gesundheit der Asklepios Klinik Hamburg-Harburg. „Sie werden aber besser diagnostiziert und weniger stigmatisiert.“

Der Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Michael Ziegelmayer, sieht auch ein Statistikproblem: „Die Krankenkassen zählen die Fälle und nicht die Personen.“ Wiederkehrende Erkrankungen bei einem Patienten würden so möglicherweise mehrmals erfasst.

Ältere Menschen und Frauen. Zumindest ist die Zahl der Fehltage wegen Seelenleiden höher je älter die Berufstätigen sind. Auf 100 weibliche DAK-Versicherte, die über 60 Jahre alt waren, entfielen zuletzt 435 Ausfalltage - bei Männern waren es lediglich 293. Bei der jüngsten Gruppe der 15- bis 19-Jährigen waren es 115 Tage bei Frauen und 57 bei Männern. Anfälliger für Depressionen oder Angststörungen ist das weibliche Geschlecht nicht unbedingt: „Es ist bei Männern heute immer noch nicht selbstverständlich, sich einzugestehen, dass man ein Problem im psychischen Bereich hat“, erklärt BDP-Vize Ziegelmayer.

„Der Stresspegel ist in Großstädten höher“, sagt Fachmann Unger. „Außerdem ist in der städtischen Community das Gesundheitsbewusstsein größer.“ Psychische Probleme würden so schneller erkannt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) vom Robert Koch-Institut. Demnach hat die Wohnortgröße Einfluss auf die Häufigkeit von depressiven Symptomen: In kleinstädtischen Orten waren die wenigsten betroffen.

Es klingt erstmal seltsam: Die meisten Seelenleiden werden im Gesundheitswesen diagnostiziert. Die wenigsten lassen sich deswegen im Baugewerbe krankschreiben. „Das hat mit der Art der Belastung zu tun“, erklärt Psychologe Ziegelmayer. Sie sei auf dem Bau in der Regel körperlich - in der Gesundheitsbranche psychisch. Und: „Die Arbeitsbedingungen in der Pflege werden eher schlechter als besser.“

Arbeitsbelastung, private Gründe oder eine körperliche Krankheit sind Experte Unger zufolge die Hauptursachen. Etwas häufiger sind nach seinen Angaben aber berufsbedingte Erkrankungen. Auch BDP-Experte Ziegelmayer betont: „Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass die Belastung im Arbeitsleben zugenommen hat.“

Das ist eine Zusatzdiagnose. Seit 2012 hat sich die Zahl der Burnout-Fehltage fast halbiert, während andere psychische Krankheiten öfter festgestellt wurden. Unger: „Die Ärzte diagnostizieren heute eher eine Depression, eine Anpassungsstörung oder eine Angststörung und verzichten auf die Zusatzdiagnose Burnout.“

Sie sind gewissermaßen salonfähig geworden und werden Unger zufolge weniger stigmatisiert. „Für viele gehört der Satz „Ich bin gestresst“ mittlerweile zum guten Ton.“

„Ich würde nicht sagen, dass die Zahl der Diagnosen besorgniserregend ist“, sagt Ziegelmayer. „Daraus den Schluss zu ziehen, dass wir eine psychisch kranke Nation sind - das wäre völlig verfehlt.“

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