Interview Wirtschaftsweiser Achim Truger warnt vor zu schnellen Lockerungen

Berlin · Der Wirtschaftsweise Achim Truger warnt vor negativen Folgen einer schnellen Lockerungen der Corona-Maßnahmen.

 Der Wirtschaftsweise Achim Truger nimmt die Politik bei ihrer Entscheidung zur Lockerung der Beschränkungen in Schutz.

Der Wirtschaftsweise Achim Truger nimmt die Politik bei ihrer Entscheidung zur Lockerung der Beschränkungen in Schutz.

Foto: dpa/Soeren Stache

Zahlreiche Wirtschaftsvertreter bemängeln die von Bund und Ländern beschlossenen Lockerungen einzelner Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus als zu zaghaft. Der Wirtschaftsweise Achim Truger warnt dagegen vor negativen Folgen einer schnellen Öffnung.

Herr Truger, was stört Sie an der Kritik der Wirtschaft?

Achim Truger: Niemand hat etwas davon, wenn jetzt mehr Maßnahmen schnell gelockert werden und sich das Virus dann wieder stärker ausbreitet. Dadurch würde man einen zweiten Lockdown riskieren mit noch viel schlimmeren Folgen für die Wirtschaft.

Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern Fläche dürfen in Kürze wieder öffnen, größere nicht. Das klingt nach Willkür, oder?

Truger: Der Sachverständigenrat hat sich für einheitliche Regeln bei Schutzkleidung und dem Abstandsgebot zwischen Personen stark gemacht. Die Flächenbegrenzung hängt vermutlich damit zusammen, dass die Zahl der Kunden überschaubar bleiben sollte, um die Ansteckungsgefahr in Grenzen zu halten. Insofern maße ich mir da keine Kritik an.

Nach einer aktuellen Umfrage fürchtet jeder vierte Beschäftigte wegen der Corona-Krise um seinen Job. Eine berechtigte Sorge?

Truger: Ich verstehe die Sorge, wir haben es mit einem scharfen Einbruch zu tun. Das birgt die Gefahr einer deutlich steigenden Arbeitslosigkeit. Andererseits hat die Regierung vieles beschlossen, um genau dies zu verhindern. Dazu zählen Hilfen für Betriebe und besonders die erleichterte Kurzarbeit, mit der Beschäftige in den Betrieben gehalten werden. Eine Massenarbeitslosigkeit halte ich deshalb für unwahrscheinlich.

Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist weiter im Zwangsstillstand. Was heißt das für die Volkswirtschaft?

Truger: Der Anteil der jetzt behördlich geschlossenen Branchen an der gesamten Wertschöpfung beträgt sieben Prozent. Davon entfallen 1,6 Prozentpunkte auf Hotels und Gaststätten. Die durch den Lockdown direkt ausgelösten Folgen erklären also nur einen Teil der wirtschaftlichen Schwäche in Deutschland. Entscheidend sind noch andere Faktoren wie zum Beispiel die internationalen Lieferketten. Wenn in Norditalien die Produktion ruht, dann fallen wichtige Vorleistungen zum Beispiel für die deutsche Automobilindustrie weg.

An welche Faktoren denken Sie noch?

Truger: Zu berücksichtigen ist auch, dass viele Menschen krank oder in Quarantäne sind oder wegen fehlender Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen und keine Heimarbeit machen können. Gleichzeitig ist die Exportnachfrage stark eingebrochen. Aus all dem lässt sich schließen, dass Deutschland wirtschaftlich erst dann wieder richtig loslegen kann, wenn das auch überall um uns herum geschieht. Deshalb ist auch die Erwartung falsch, dass die Politik alles entscheiden könnte. Sie kann nur einen Teil der Einbrüche direkt beeinflussen.

Die Wirtschaftsweisen haben für das aktuelle Jahr lediglich ein vergleichsweise moderates Minus von 2,8 Prozent für Deutschland vorhergesagt. Halten Sie an dieser Prognose auch weiterhin fest?

Truger: Diese Prognose ist jetzt drei Wochen alt. Damals hatten wir allerdings auch schon Risikoszenarien entwickelt, wonach das deutsche Bruttoinlandsprodukt um bis zu 5,4 Prozent schrumpfen könnte. Das ist jetzt realistischer geworden.

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