Religion Wie katholisch ist Deutschland?

Zehntausende kommen zum Katholikentag in Münster. Was denkt die schweigende Mehrheit?

Im Innenhof des Schloss Mannheim findet der Abschlussgottesdienst des 98. Katholikentag statt.

Im Innenhof des Schloss Mannheim findet der Abschlussgottesdienst des 98. Katholikentag statt.

Foto: Uli Deck

Münster. Harald Schmidt (60) ist in seiner Pfarrgemeinde fest verwurzelt. Seit Kindertagen ist das so - der frühere Late-Night-Talker ist mit dem Katholizismus aufgewachsen. In der Nachkriegszeit war das in vielen Teilen Deutschlands selbstverständlich. „Da wurde getauft, da wurde erstkommuniziert, da wurde gefirmt“, erinnerte sich Schmidt vor einiger Zeit. Eine solche katholische Sozialisation ist heute die Ausnahme. Da stellt sich angesichts des nahenden Katholikentags - 9. bis 13. Mai in Münster - die Frage: Wie katholisch ist Deutschland eigentlich noch?

Eine Zahl, die manch einen überraschen mag: Die katholische Kirche hat heute noch genauso viele Mitglieder wie in den 1950er Jahren - nämlich 23 Millionen. Zwischenzeitlich waren es allerdings mal mehr, der Höchststand wurde nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz 1973 mit knapp 30 Millionen erreicht. Seit etwa 1990 geht die Zahl kontinuierlich zurück. Dennoch ist sie unterm Strich überraschend stabil. Die am stärksten katholisch geprägten Bundesländer sind das Saarland, Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

Diese Zahlen stehen allerdings in scharfem Kontrast zum kirchlichen Engagement. 1950 gingen noch 55 Prozent der deutschen Katholiken sonntags zur Kirche, heute sind es nach Angaben der Bischofskonferenz nur noch 10 Prozent. In absoluten Zahlen: 2,4 Millionen. Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann spricht in diesem Zusammenhang von einer „erkalteten Religion“. Zwangsläufig stellt sich hier die Frage: Warum treten nicht noch viel mehr Leute aus der Kirche aus, wenn die übergroße Mehrheit das Angebot doch nicht mehr wahrnimmt?

Sie könnten damit viel Geld sparen. Eine Antwort dürfte sein: Viele wollen es ihren Eltern nicht antun. Der Austritt käme nach ihrem Gefühl einem Bruch mit der Familie gleich. Aber das kann nicht alles erklären. Der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster ist überzeugt: „Prinzipiell wird das Christentum in Deutschland positiv bewertet und als Fundament unserer Kultur angesehen. Man findet es auch gut, wenn die Kinder im christlichen Geist erzogen werden. Anständigkeit, Fairness, Solidarität, Nächstenliebe - das ist alles sehr hoch geschätzt.

Es gibt also eine große Offenheit gegenüber dem Christentum, und das kommt der Kirche zugute.“ Dank ihrer enormen Steuereinnahmen kann die Kirche zudem eine wichtige Rolle als Sozialträger spielen. Sie betreibt Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten und Schulen. „Die Kirche ist sozial, politisch, kulturell präsenter, als es von der Aktivität der Mitglieder her gerechtfertigt wäre“, meint Pollack. Diese Präsenz der Kirche sei durchaus akzeptiert und geschätzt: „Sehr auffällig ist, dass es - im Gegensatz zum Beispiel zu Ländern wie Polen, wo die Kirchlichkeit viel höher ist - in Deutschland kaum so etwas gibt wie einen Anti-Klerikalismus. Es gibt kaum starke Bewegungen gegen die Kirche.“

Insofern hat die Kirche eigentlich keinen Grund zum Trübsalblasen. Eines ist allerdings definitiv Vergangenheit: Auch praktizierende Katholiken lassen sich von der Kirche nicht mehr vorschreiben, wie sie zu leben haben. „Ist es Ihnen wichtig, was der Papst sagt?“ Auf diese Frage antworteten in einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 58 Prozent der Katholiken mit „Nein“.

Eine Umfrage des größten deutschen Bistums Köln ergab 2013 „eine starke Differenz zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Katholiken“. Egal ob bei Scheidung, vorehelichem Sex, Verhütungsmitteln oder Homosexualität: In allen Punkten denken demnach sogar die regelmäßigen Gottesdienstbesucher und in der Pfarrgemeinde Aktiven ganz anders als die Kirche es lehrt. Und zwar fast ohne Ausnahme. „Selbst diejenigen, die in der Kirche sind, sagen: "Ich möchte das zu meinen eigenen Bedingungen sein."“, fasst Pollack zusammen. Als Schäfchen sehen sie sich nicht.

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