Werner Strauss: Der Beichtvater der Matrosen

16 Jahre lang hat er in Singapur Seemännern Beistand geleistet. Nun geht Pastor Werner Strauss in den Ruhestand.

Singapur. Vielleicht ist es ein schwerer Gang für Werner Strauss - der letzte als Seemannspastor. Doch der 65-Jährige nimmt die Gangway zum Deck des riesigen Containerschiffes flott. "Chaplain" - Geistlicher - steht vorn auf seinem roten Baustellenhelm, als müsse Strauss sich irgendwie ausweisen. Dabei ist das kaum nötig. Auf der "Bahia Grande" der Reederei Hamburg-Süd begrüßt die Crew ihn wie einen, der seit Jahren dazugehört. Strauss ist eben ein Urgestein in der Seefahrerfamilie.

Der evangelische Pfarrer kümmert sich seit 16 Jahren im Hafen von Singapur um die Sorgen der Seeleute: Gewissensfragen und Glaubenszweifel, aber auch ganz mondäne Sachen wie neue Schuhe oder das Arrangieren von Blumengrüßen an die daheim gebliebene Ehefrau. Heute ist sein letzter Tag. Der gebürtige Nürnberger kehrt nach Deutschland zurück. Die Wehmut im Herzen ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Die Schäfchen seiner Gemeinde leben auf Riesenpötten wie der "Bahia Grande", ein 248 Meter langes Schiff, das 3700 Container über die Weltmeere transportiert. Argentinien - Südafrika - Singapur - Schanghai - Singapur - Argentinien ist die derzeitige Route. "Ich habe mir über die Jahre einen Pool von 300 bis 400 Schiffen aufgebaut, die ich regelmäßig besuche", sagt Strauss. "Ich bin jeden Tag im Hafen. Manchmal acht, manchmal zehn Stunden - man weiß es nie vorher."

Der Pastor, der mit salopper Hose und kariertem Hemd eher den Kumpelfreund als den Geistlichen verkörpert, parkt seinen roten Wagen der Deutschen Seemannsmission am Kai. Sein Kofferraum ist eine Bibliothek: CDs, DVDs, Bibeln in allen möglichen Sprachen und Memorysticks mit elektronischen Ausgaben von Zeitungen aus aller Welt für die Seeleute.

Heute hat er unter anderem ein goldenes Kettchen dabei, bestellt vom Ersten Ingenieur an Bord, der in einem der nächsten Häfen ein besonderes Geschenk machen will. Zeit für den Landgang hat Christian Roensch nicht. Die "Bahia Grande" liegt nur 16 Stunden zum Ein- und Ausladen in Singapur. Strauss hat die Bitte zur Besorgung per E-Mail bekommen.

"Seeleute gelten ja als verschlossen, aber wenn die Kruste erstmal aufgeht, haben sie ein großes Bedürfnis, sich mitzuteilen", sagt Roensch beim Kaffee. Strauss weiß das aus langer Erfahrung. "Zuhören - das ist meine Hauptaufgabe, wenig reden, viel beobachten." Einsamkeit, Trauer über Kranke, Verstorbene und Verunglückte in der fernen Heimat, Probleme in der Beziehung, Verzweiflung über ein jetzt bereutes Sex-Abenteuer im vorherigen Hafen - "ich höre zu, die Antworten finden die Leute oft von allein", sagt Strauss.

Der Pastor verspürt eine Seelenverwandtschaft mit den Seeleuten. "Ich bin ja auch irgendwie abgeschnitten von zu Hause", sagt Strauss. Dass dieser Lebensabschnitt jetzt zu Ende ist, muss erst noch einsinken. Anfang November wird er in Hamburg ankommen. An Bord eines Containerschiffs natürlich.

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