Wenn Soldaten mit kranker Seele heimkehren

Flottenarzt Roger Braas behandelt Patienten, die nach dem Einsatz unter PTBS leiden.

Koblenz. Im Ersten Weltkrieg nannte man sie "Kriegszitterer", Soldaten, die die Gräuel nicht verarbeiten konnten und unkontrolliert mit den Gliedmaßen zuckten. In den USA gingen Vietnam-Veteranen auf die Straße, weil sie im normalen Leben keinen Tritt fassten. Und aus dem Irak-Krieg kehrten Studien zufolge 17 Prozent aller Soldaten mit der Krankheit heim, die heute posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, genannt wird.

Bei der Bundeswehr war PTBS lange Zeit kein Thema. "Bis 1995 hat sie sich nicht mit den Prinzipien einer Einsatzarmee auseinandergesetzt", sagt Roger Braas, leitender Arzt der neurologischen und psychiatrischen Abteilung des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz. Dann kam der Afghanistan-Einsatz, und mit ihm kamen Anschläge, Gefechte und Selbstmordattentate. Seither kehren immer mehr Soldaten mit einer kranken Seele zurück. 2008 waren es 226 registrierte Fälle, im ersten Halbjahr 2009 schon 163.

"Ein Prozent der Soldaten im Auslandseinsatz leidet unter PTBS. Bei Afghanistan-Heimkehrern sind es zwei Prozent - und die Rate steigt", rechnet der Flottenarzt vor. Von den Soldaten, die in Feuergefechte verwickelt worden seien, erkrankten sogar bis zu 20 Prozent an PTBS. Studien zufolge liegt die Dunkelziffer indes vier Mal höher, denn viele Betroffene fürchten berufliche Nachteile. Psychische Stabilität gilt als wichtiges Kriterium für eine Bundeswehrkarriere.

Der Umgang mit Ausnahmesituationen, Verwundete oder Sterbende zu sehen, wird in die Ausbildung integriert. "Weil das aber Theorie ist, ist es oft schwer, die Soldaten zu erreichen", so Braas.

In der Praxis werden die rund 4500 deutschen Soldaten in Afghanistan derzeit von einem Psychiater und zwei Truppenpsychologen betreut. Hinzu kommen allgemeine Truppenärzte, Militärseelsorger und "Peers" - speziell ausgebildete Ersthelfer. Viel zu wenig, sagen Kritiker.

Auch in der Heimat sieht es nicht viel besser aus: Von 38 ausgewiesenen Facharztstellen für Psychiatrie im Sanitätsdienst der Bundeswehr sind nur 22 besetzt.

Direkt nach einem Anschlag geht es darum, grundlegende Bedürfnisse zu stillen. "Das ist ein sicherer Ort und ein warmes Essen", weiß Braas. Nach drei Tagen gebe es ein Gespräch mit der militärischen Führung und anderen Betroffenen. "Nach der Rückkehr in die Heimat nehmen wir die Soldaten dann oft schon am Flughafen in Empfang."

Viele glaubten jedoch, schnell in die Normalität zurückkehren zu können. "Gerüche oder Geräusche können das Ereignis aber blitzartig ins Bewusstsein rufen." Oft merke der Soldat gar nicht, dass er den Alltag nicht mehr bewältigt. "Meist ist es die Familie, die irgendwann fragt, was los ist."

Über den ambulanten Kontakt führt der Weg dann in eines der fünf Bundeswehrkrankenhäuser. Nach Diagnostik und sogenannter Stabilisierung stehe die Gruppenarbeit im Mittelpunkt, erklärt Braas. "Der Betroffene lebt durch das Trauma in einer anderen Welt."

Intellektuell sei in dieser Phase nichts zu machen. "Das kann vielmehr die Chilischote sein, die gekaut wird, um den Patienten ins Hier und Jetzt zu holen." In der Regel seien die Soldaten nach einem dreiviertel Jahr wieder im Dienst. Doch Braas gibt auch zu: "Es wird nicht mehr so sein wie vorher."

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