Wenn das Medikament zur Gefahr wird

Wechsel- und Nebenwirkungen enden schlimmstenfalls tödlich. Modellprojekte sollen Weg aus der Gefahr weisen.

(c) dpa - Bildfunk

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Foto: Matthias Hiekel

Düsseldorf. Medikamente können ein Segen sein. Aber auch ein Fluch. Nämlich dann, wenn die verschiedenen Wirkstoffe mehrerer eingenommener Arzneien dazu führen, dass sich die Wirkungen aufheben oder verstärken. Der Zusammenhang ist bekannt, erscheint aber erst dann alarmierend, wenn man sich die Zahlen vor Augen führt: Fünf Prozent der Einlieferungen ins Krankenhaus seien die Folgen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, und zwei Prozent der Fälle verliefen gar tödlich. Das sagte am Dienstag Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne). In konkreten Zahlen erscheint das noch erschreckender: 4300 Todesfälle jährlich allein in NRW.

Dass hier Handlungsbedarf bestehe, darauf machte am Dienstag nicht nur die Ministerin aufmerksam. Auch Wolfgang-Axel Dryden, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe, sieht die „Multimorbidität in einer alternden Gesellschaft“ als große Herausforderung. Das Problem also, dass sich bei älteren Patienten naturgemäß auch die Beschwerden häufen und dem mit immer mehr Medikamenten begegnet wird.

Dryden stellte ein Projekt vor, das seit 2013 an 120 Menschen über 65 Jahren im Siegerland getestet wird. Der Hausarzt bekommt dort von der Krankenkasse Informationen, wenn ein Versicherter über einen längeren Zeitraum fünf Medikamente verordnet bekommt. Auf einem Medikationsplan werden von allen behandelnden Ärzten die Diagnosen, verordnete Arzneien und deren Dosierung eingetragen. Entsprechend kann reagiert werden, der Hausarzt kann zum Beispiel das eine oder andere Medikament nach Rücksprache mit dem Patienten oder auch den Ärztekollegen wieder absetzen.

Schon nach einem halben Jahr, so die erste Bilanz des Projekts, sei die Menge der verordneten Wirkstoffe um 17 Prozent zurückgegangen, pro Patient wurden 92 Euro gespart. Während das letztere Argument eher die Krankenkassen erfreuen dürfte, steht für Kassenarztchef Dryden vor allem die Abnahme der unerwünschten Wechselwirkungen und damit die Patientengesundheit im Vordergrund.

Eine durch Übermedikation gefährdete Patientengesundheit ist vor allem bei älteren Menschen eine Gefahr. Laut Gesundheitsministerin Steffens machen die über 65-Jährigen zwar nur 22 Prozent der Bevölkerung aus, diese Altersgruppe nehme aber 57 Prozent aller Medikamente ein. Bei einem Drittel der über 65-Jährigen sind es mehr als fünf Medikamente gleichzeitig. Das Projekt im Siegerland ist eines von sieben Modellprojekten bundesweit, von denen allein in NRW fünf laufen — unter Beteiligung von Ärzten, Krankenkassen und Apotheken.

Am Ende sollen Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Projekte ausgewertet werden. Patienten, die nicht bei einem der Projekte beteiligt sind — und das sind die allermeisten — müssen aber nicht warten, bis flächendeckende Hilfe kommt. Schon jetzt, so die Ministerin, könne jeder seinen Arzt oder seine Krankenkasse auf einen Medikationsplan ansprechen, in den dann alle eingenommenen Arzneien eingetragen werden. Auch eine Apotheke könne auf einen Arzneimittelsicherheitscheck angesprochen werden.

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