Die Menschen versuchen trotz Krieg, Weihnachten zu feiern Warum die Ukraine zweimal Weihnachten feiert

BERLIN · . In diesem Jahr feiert der ukrainische Pfarrer Bohdan Ohulschansky gleich zweimal das Weihnachtsfest mit seiner Gemeinde. „Die jüngeren Menschen wollen am 25. Dezember feiern, die älteren das traditionelle Weihnachtsfest am 6. und 7. Januar“, erzählt der Kiewer Priester im Gespräch.

Schon länger gibt es in der Ukraine eine Debatte darüber, Weihnachten vom 6. und 7. Januar auf den 25. Dezember zu verschieben – als Zeichen, dass man sich nicht mehr in der russischen Einflusssphäre befinden will, sondern europäisch Weihnachten feiern möchte. Denn im Gegensatz zu westlichen Ländern, orientiert man sich in Russland am julianischen Kalender und dort fällt Weihnachten auf den 6. und 7. Januar. Es ist der Versuch, durch religiöse Feiertage die ukrainische Identität neu zu justieren.

„Wir gehen gerne neue Schritte und probieren Neues aus“, sagt Ohulschansky. Nach den Feiertagen soll die Gemeinde abstimmen, an welchen Tagen sie in Zukunft Weihnachten feiern möchte. Dass ukrainische Gemeinden am 25. Dezember das Weihnachtsfest begehen, ist eher die Ausnahme, beobachtet Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. „Es gibt einzelne Gemeinden, die das machen, aber nicht alle“, so die Expertin für Orthodoxe Kirchen in Osteuropa.

Der Wunsch, sich vom russischen Einfluss zu lösen, hat konkrete Auswirkungen auf die Gläubigen in der Ukraine. Denn die größte Religionsgemeinschaft des Landes ist die traditionsreiche Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK). Sie ist zwar administrativ und finanziell unabhängig, aber aufgrund ihrer Geschichte noch heute eng mit der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau verbunden. Einige ukrainische Gemeinden der Kirche haben sich nach Beginn des Kriegs am 24. Februar vom Moskauer Patriarchat abgewandt.

Pfarrer Ohulschansky hat vor zwei Monaten eine dieser bisher mit Moskau verbundenen Gemeinden mit übernommen. Gemeinsame Gottesdienste feiern seine Gemeinden nicht – dafür sind die Unterschiede zu groß. „Aber nichts hindert uns daran, gemeinsam ukrainische christliche Traditionen zu feiern, wie das Singen von Weihnachtsliedern.“

In einigen Regionen der Ukraine gebe es solche gemeinsamen Aktionen bereits. „Wir versuchen unsere Weihnachtstraditionen aufrechtzuerhalten, auch wenn Krieg ist“, sagt er und bekräftigt: „Der Krieg kann uns nicht unsere Traditionen nehmen.“

Ein Zeichen dafür ist der hell erleuchtete Weihnachtsbaum, der im Bahnhof von Kiew steht. Dass er trotz immer neuen Stromausfällen nach Russlands Angriffen auf die Energieinfrastruktur leuchtet, liegt an einem Fitnessrad, das an die Beleuchtung angeschlossen ist. Wer in die Pedale tritt, holt den Glanz von Weihnachten in das historische Bahnhofsgebäude. Die Ukraine macht aus der Not eine Tugend.

Während die Großstädte schneller wieder ans Stromnetz angeschlossen werden, dauert es auf dem Land länger. Das bekommen auch die Menschen aus einer Kirchengemeinde von Pfarrer Ohulschansky zu spüren, die etwas außerhalb von der Hauptstadt liegt. Dort gibt es oft nur wenige Stunden Strom am Tag. Viele der Menschen sind vor dem Krieg geflüchtet. Die meisten nach Polen, einige auch nach Deutschland und Frankreich, erzählt der Pfarrer. „Einige der Einwohner sind in der ukrainischen Armee, einer starb erst vor wenigen Wochen bei den Kämpfen.“ Die Trauer sei dort in diesen Tagen groß, aber die Bewohner hätten nie ihren Mut verloren.

Das Weihnachtsfest ist gerade für orthodoxe Gläubige sehr bedeutsam. „Es ist ein familiäres Fest und viele Familien sind getrennt, weil Mütter und Kinder das Land verlassen haben und die Männer kämpfen müssen“, erläutert Osteuropaexpertin Elsner. Sie fürchtet, es wird ein sehr trauriges Fest in diesem Jahr werden. Pfarrer Ohulschansky erzählt, dass viele Familien aus seinen Gemeinden planen, sich per Video-Chat zu sehen. „Hoffentlich gibt es Strom und Internet an Weihnachten“, ergänzt er in Sorge. „Es ist eines der härtesten Weihnachtsfeste für die Ukraine, aber die Widerstandskraft der Menschen ist hoch.“

Man muss für jeden einzelnen Tag dankbar sein, sagt der Pfarrer aus Kiew. „Weihnachten ist der wichtigste Tag, er weckt die Hoffnung und erinnert uns daran, dass es eine Zeit nach diesem Krieg in Frieden gibt.“ In diesen Tagen zehren besonders viele Menschen von dieser Hoffnung. Russlands immer neue Angriffswellen zerstören die ukrainischen Strom- und Wasserleitungen und das Fernwärmenetz. Weihnachten im Dunkeln, Weihnachten in der Kälte. „Unser Feind kennt keine Regeln in diesem Krieg“, sagt Ohulschansky. „Wir müssen uns in diesen Tagen auf alles gefasst machen, auch auf neue Angriffe während des Weihnachtsfestes.“

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