Warten auf die Revolution

Vor zehn Jahren haben Forscher die menschliche DNA entziffert. Der Medizin brachte die Entdeckung kaum Fortschritte.

New York. Es klang wie ein Wunder, was die Entzifferung ihres Erbguts den Menschen bescheren sollte: Eine Fülle neuer Medikamente, maßgeschneiderte Therapien und Einblick in persönliche Krebsrisiken. Die Genomforschung werde "die Diagnose, Prävention und Behandlung der meisten oder sogar aller Krankheiten revolutionieren", versprach der damalige US-Präsident Bill Clinton am 26. Juni 2000 bei der Präsentation des menschlichen Erbguts.

Doch die Revolution in der Medizin lässt auf sich warten. Und das trotz der Milliarden, die in den vergangenen zehn Jahren in die Erforschung flossen. Die Ausbeute an Heilmitteln, die auf dem neuen Wissen vom Erbgut basieren, ist noch denkbar karg: Ein Medikament gegen Osteoporose (Prolia), ein anderes (Benlysta) gegen die Autoimmunkrankheit Lupus und einige Krebsmittel sind dem Durchbruch gefolgt.

Nichtsdestotrotz äußern sich die beiden Männer, die damals nach einem erbitterten Kopf-an-Kopf-Rennen gemeinsam durchs Ziel gegangen waren, euphorisch. Der Gen-Pionier Craig Venter erklärte, "die Sequenziertechnologie ist weitaus schneller vorangekommen, als irgendjemand es hätte vorhersagen können. Es ist heute möglich, das Erbgut eines Menschen an einem Tag von einer einzigen Maschine für ein paar tausend Dollar zu entziffern".

Francis Collins, damals Leiter des Human-Genom-Projekts und heute Direktor des Staatlichen US-Gesundheitsforschungsinstituts (NIH), nahm zur Ungeduld Stellung: "Ich glaube, dass wir von einer umwälzenden neuen Technologie immer zu viel unmittelbare Ergebnisse erwarten und zu wenig an die Langzeiterfolge denken."

Für Patienten hat sich derweil noch nicht viel verbessert. Von den rund 2000 Gentherapien, die nach NIH-Angaben heute erprobt werden, erzielen nur wenige greifbare Erfolge. Die amerikanische Pharmaindustrie verdoppelte nach einem Bericht der "New York Times" ihre Investitionen zwischen 2000 und 2009. Trotz der inzwischen 46 Milliarden Dollar Ausgaben pro Jahr blieb die Zahl neu zugelassener Medikamente bisher konstant: durchschnittlich 25 pro Jahr.

Möglich ist, dass die Fülle von Informationen aus dem Human Genome Project die Industrie überfordert. "Daten, überall Daten, aber nicht ein einziges Produkt", stöhnte ein Unternehmenssprecherr. Andere Firmen erinnern daran, dass die Entwicklung einer neuen Therapie schon immer zehn bis 15Jahre gedauert hat.

Tatsächlich tappen die Wissenschaftler bei der Suche nach den genetischen Ursachen von Krebs, Alzheimer und hunderter anderer Krankheiten noch weitgehend im Dunkeln. Es wird immer deutlicher, dass nicht nur Gene, sondern auch weitgehend unerforschte Faktoren, die auf dem Erbgutstrang zwischen den Genen liegen, eine Rolle spielen.

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