„Versöhnung bedeutet Frieden“

Walter Kohl glaubt, dass der Bruch mit seinem Vater Helmut nicht endgültig ist: „Wir brauchen Zeit.“

Düsseldorf. Walter Kohl (43), der älteste Sohn von Alt-Kanzler Helmut Kohl (80), hat mit seinem Buch „Leben oder gelebt werden“ Diskussionen ausgelöst. Sind seine Lebenserinnerungen eine Abrechnung mit dem Vater oder, wie es im Untertitel heißt, „Schritte auf dem Weg zur Versöhnung“? Seit geraumer Zeit sprechen Vater und Sohn nicht miteinander.

Herr Kohl, war Ihr Vater einverstanden, dass Sie das Buch schreiben?

Kohl: Er wusste, dass ich das Buch schreibe, und es gab nie einen Widerspruch.

Haben Sie darüber gesprochen?

Kohl: Es war ja bekannt. Das Buch war zwei Jahre im Internet angekündigt. Es sollte ursprünglich 2009 erscheinen. Aber es hat dann doch länger gebraucht, weil es ein sehr viel tieferer Schreibprozess war, als ich es mir vorgestellt hatte.

Was hat Sie bewogen, Ihre Geschichte zu schreiben?

Kohl: Nach der Parteispendenaffäre und dem Freitod meiner Mutter bin ich 2002/2003 in eine schwere persönliche Krise geraten. Ich stand vor der Entscheidung, ihren Weg zu gehen oder mich meiner eigenen Vergangenheit zu stellen. Bis dahin hatte ich immer versucht, den Dingen durch eine Flucht nach vorn auszuweichen: Ich bin nach Amerika gegangen, ich habe viel im Ausland gearbeitet. Aber seit der Wiedervereinigung war das Thema global. Selbst in einem buddhistischen Kloster in Asien haben mich die Leute auf meinen Vater angesprochen.

„Seine wahre Familie heißt CDU, nicht Kohl“, schreiben Sie. Was meinen Sie damit?

Kohl: Als Politiker muss man 365 Tage lang 24 Stunden öffentlich verfügbar sein — das muss man können und wollen. Ständig gab es Wahlkampf, Termine, andere Prioritäten, und wir Kinder standen auf der Bühne. Die Belastungen haben in der Summe dazu geführt, dass man in unterschiedlichen Welten lebte.

Was war besonders belastend?

Kohl: Am schwierigsten für mich war das Leben als Anderer unter Gleichen. Einerseits wollte ich „der ganz normale Walter“ sein, andererseits war ich immer wieder als „Sohn vom Kohl“ Projektionsfläche für Angriffe, die meinem Vater galten. Dieses Leben in zwei Welten hat mich belastet und zu innerer Sprachlosigkeit und Einsamkeit geführt.

Sie hätten sich das von der Seele schreiben und das Buch in die Schublade legen können.

Kohl: Das war mein ursprünglicher Ansatz, aber durch Vorträge, die ich zum Thema Versöhnung hielt, wurde ich ermutigt: Veröffentliche deine Gedanken, du hast eine Botschaft. Das Feedback, das ich bekomme, ist ganz überwiegend positiv. Die Leser erkennen, da ist jemand, der mit seinem Leben gerungen hat und dieses Ringen so darstellt, dass es anderen Menschen Inspiration geben kann.

Versöhnung ist immer ein wechselseitiger Prozess. Glauben Sie, dass Ihr Vater das Buch so sehen kann?

Kohl: Für mich ist Versöhnung zunächst mal ein individueller, persönlicher Prozess. Denn ich glaube, dass Versöhnung ein anderes Wort dafür ist, seinen inneren Frieden zu finden.

Dazu brauchen Sie aber doch den anderen?

Kohl: Ich glaube sicher, dass dieses Buch langfristig Versöhnung bringen wird. Einer wirklichen Versöhnung wird sich niemand entziehen können. Aber wir brauchen Zeit und Ruhe.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort