Ulrich Mühe: Von deutscher Zerrissenheit

Nachruf: Unerwartet für die Öffentlichkeit ist Ulrich Mühe im Alter von 54 Jahren an Krebs gestorben.

<strong>Düsseldorf. Das hat gesessen, das war ein Schock. In der Samstagausgabe der Berliner Morgenpost stand noch ein Interview, in dem Ulrich Mühe bekannte: "Ja, ich habe Magenkrebs!" Und er sagte, er werde sich nun den erforderlichen Therapien unterziehen. Doch einen Tag später war Mühe tot. Gestern teilte es die in Walbeck in Sachsen-Anhalt lebende Familie mit: Ja, unser Vater ist gestorben und auf seinen Wunsch im engsten Kreis und in aller Stille bereits beigesetzt worden.

Man sieht ihn vor sich, immer schmal, karg, verlegen und fast linkisch, mit den Augen eines scheuen, manchmal angsterfüllten Kindes. Ulrich Mühe war der beste deutsche Schauspieler des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sein Witz konnte so liebevoll-ironisch wie sarkastisch sein. Er war wohl einer der nuanciertesten, enorm wandlungsfähig, flexibel. Und: Er hat Deutschland erlebt wie vielleicht nur noch Manfred Krug, auch er aufgewachsen zunächst in der Zwangsjacke des "real existierenden Sozialismus".

Den Wehrdienst mit der Waffe an der verminten Berliner Mauer muss Mühe offenbar seelisch nicht verkraftet haben; er zog sich die ersten Magengeschwüre zu und musste den Dienst vorzeitig abbrechen. Die erste Magenoperation war fällig.

Ulrich Mühe verkörperte wie kein anderer Darsteller das deutsche Volk und seine zerrissene Geschichte. In "Goebbels und Geduldig" etwa, Kai Wessels TV-Tragikomödie, spielte er Täter und Opfer zugleich, einen internierten Juden und den NS-Propagandaminister. In Dani Levys "Mein Führer" ist er der jüdische Schauspiel-Lehrer Adolf Grünbaum, der sich mit seiner Frau sogar das Bett mit dem anderen Adolf teilt. Und dann schließlich verkörpert er - ausgerechnet! - in Florian Henkel von Donnersmarcks Oscar-gekröntem Film den Stasioffizier, den irgendwann Zweifel plagen.

Ein Jahr zuvor hatte er sich noch - auch das eine Tragödie - mit seiner damaligen zweiten Frau Jenny Gröllmann eine öffentliche Schlammschlacht geliefert und ihr Ausspitzelung durch die Stasi vorgeworfen. Ein Gericht entschied damals, wie zu erwarten, im Zweifel für die Angeklagte und sprach sie frei. Im vergangenen Jahr starb sie an Krebs. Die gemeinsame Tochter Anna Maria, ebenfalls inzwischen Schauspielerin, hat nun auch den Vater verloren.

Geboren wurde Mühe am 20. Juni 1953 als Sohn eines Kürschnermeisters im sächsischen Grimma, das ihm am 10. August posthum die Ehrenbürgerwürde verleihen wird. Er studierte an der Theaterhochschule Leipzig; als sein Entdecker für die Bühne gilt Heiner Müller. Der Durchbruch in Film und Fernsehen gelang Mühe mit dem Defa-Film "Hälfte des Lebens" (1984). Was für eine immense geistige Spannweite und welche Wandlungsfähigkeit besaß er: Von Hölderlin über Hamlet, Egmont und Sigismundis bis zum Karrieristen aus Joseph Roths "Spinnennetz" (verfilmt von Bernhard Wicki) und zuletzt den lakonisch-ironischen Rechtsmediziner Dr. Robert Kolmaar im ZDF!

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