Thielemann: Junge Dirigenten brauchen Zeit

Dresden (dpa) - Dirigent Christian Thielemann rät dem Musikernachwuchs zu mehr Gelassenheit. Bei guten Leuten komme die Karriere sowieso, sagte der 52-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein guter Sänger lange unentdeckt in den Silberschächten der deutschen Provinz schlummert - weggesperrt von bösen Intendanten und Generalmusikdirektoren.“ Allerdings könne eine Karriere auch „zu früh“ kommen. Dabei sieht er die nachfolgende Dirigentengeneration einer gnadenlosen Medienwelt ausgesetzt. „Das ist ein grausamer Beruf. Wir werden sofort weggeworfen, wenn wir nicht mehr können.“

„Junge Dirigenten können nur lernen, dass es Zeit braucht.“ Es mache Sinn, dass sie sich auch an kleinen Häusern ein Repertoire erarbeiten. Nebenher könne man immer noch mit großen Orchestern zusammenarbeiten. Thielemann verwies auf seine eigene Entwicklung. Im Alter von 29 war er 1988 Generalmusikdirektor in Nürnberg geworden. Aber auch die Engagements bei den großen Orchestern in Amerika ließen nicht lange auf sich warten. „Ich bin aber immer wieder treu nach Nürnberg zurück. Ich dachte, dass ich mir das Repertoire noch erwerben müsste.“

Thielemann sieht die permanente mediale Beobachtung vor allem für junge Musiker als Problem. „Für erfahrene Leute gehört das zum Geschäft. Wenn man aber jung ist, dann können vier oder fünf vernichtende Kritiken einen ganz erheblich beschädigen.“ Die Medien hätten eine große Verantwortung, Leute nicht vorschnell „hoch zu schießen“. Mit einer hymnischen Besprechung nutze man einem jungen Dirigenten nicht. „Nein, man müsste eigentlich vorsichtiger mit ihnen umgehen. Eher väterlich ermuntern und liebevoll kritisieren.“ Auch die Optik hält er mitunter für fragwürdig. Dass sich Musikerinnen heute für CD-Cover fast im Negligé ablichten lassen, sei sexistisch.

Thielemann warnte: „Vorsicht vor den Kumpel-Maestri. Das ist eine leichte Unwahrheit, um es mal diplomatisch auszudrücken. Ein Orchester erwartet, dass ein Dirigent klare Vorstellungen von dem hat, was er tut, und diese auch vermitteln kann“, betonte der Musiker. „Gleichwohl ist jeder Dirigent klug beraten, auch auf das zu hören, was ihm ein Orchester anbietet.“

Der 52-Jährige betonte: „Je erfahrener ich bin, desto experimentierfreudiger werde ich. Je sicherer man wird, desto mehr neue Sachen kann man ausprobieren. Ich bin ja auf der Suche nach manchen Dingen“, verriet der Dirigent. Er könne es sich mittlerweile erlauben, neues Repertoire zu entdecken.

Bei seinem neuen Amt in Dresden steht für Thielemann ein Ziel ganz oben: „Ich möchte den Klang dieses Orchesters bewahren.“ Er erinnerte daran, dass viele große Dirigenten den besonderen Klang der mehr als 460 Jahre alten Staatskapelle bewunderten und Richard Wagner das Orchester einst als „Wunderharfe“ bezeichnete. „Es ist wichtig, so etwas zu bewahren in einer Zeit, wo sich alles annähert, wo jede Fußgängerzone auf der Welt gleich aussieht und sich auch Orchester aus den verschiedensten Gründen annähern.“

Mit seiner Arbeit an der Elbe wolle er dazu beitragen, das Orchester noch mehr als bisher in den internationalen Fokus zu rücken. Am 31. Dezember präsentieren sich Thielemann und die Dresdner bereits zum zweiten Mal zum Jahresausklang dem nationalen und internationalen TV-Publikum. Beim ZDF-Silvesterkonzert aus der Semperoper erklingen Höhepunkte aus Operetten von Franz Lehár.

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