„Taximörder“ nach 24 Stunden gefasst

Wiesloch (dpa) - Nach der Festnahme des „Taximörders“ vom Bodensee sind Sicherheitsmängel bekanntgeworden, die die Flucht des brutalen Gewaltverbrechers ermöglicht haben.

Andrej W. konnte sich am Samstag mit einem Nagel von seinen Fußfesseln befreien, unbeobachtet eine Toilettentür aushängen und diese als Leiter nutzen, um aus dem Hochsicherheitstrakt auszubrechen. Die Klinik gab inzwischen bekannt, dass sie bei der Sicherheit nachrüsten will.

Den Weg in die Freiheit eröffnete dem „Taximörder“ letztendlich ein vier Meter breites Loch. Wegen Bauarbeiten war die Außenmauer des Psychiatrischen Zentrums Wiesloch bei Heidelberg aufgerissen. Ob er im Vorfeld davon wusste oder das Loch gar von seiner Einzelzelle aus sehen konnte? Viele Fragen blieben am Montag noch offen.

Die Klinik will Andrej W. künftig bei Hofgängen von vier Mitarbeitern beaufsichtigen lassen. Zudem werde eine Überwachungskamera installiert. Der Stacheldraht auf den vier Meter hohen Mauern werde um mindestens eine weitere Rolle auf vier Rollen aufgestockt. Nicht zuletzt soll der „Taximörder“ auch eine neue Fußfessel bekommen, nachdem es ihm gelungen war, sich der alten mit Hilfe eines Nagels zu entledigen.

Die Fahnder hatten den 29 Jahre alten Schwerverbrecher am Sonntagabend auf einem Fahrrad in Zuzenhausen gefasst, kaum zehn Kilometer entfernt vom Ausbruchsort. Die Beamten stellten ihn nach kurzer Verfolgungsjagd. Auf seiner Flucht hatte er vier Gartenhäuschen aufgebrochen und Kleider sowie das Fahrrad gestohlen.

Der 29-Jährige sei inzwischen vernommen worden und habe sich zu seiner Flucht geäußert, teilte die Polizei in Heidelberg mit. Demnach hatte er in dem Gebäudekomplex, in dem er untergebracht war, einen Nagel gefunden. Mit diesem manipulierte er das kleine Schloss der Fußfessel, bis sich die Schließe öffnete. Die unversehrte Fessel ließ er auf dem Hof zurück.

Den Nagel entdeckten die Polizisten nach der Festnahme erst mit Hilfe einer Röntgenaufnahme. Der verurteilte Mörder und Vergewaltiger hatte ihn in der Kordel seiner Jogginghose versteckt. Woher er stammt, bleibt unklar. In seiner Zelle, wie von dem Mann behauptet, könne er ihn nicht gefunden haben, sagte die Pflegedienstleiterin der Forensischen Klinik in Wiesloch, Ulrike Bienhaus. Sie kündigte zudem an, dass es auf absehbare Zeit keine unbegleiteten Hofgänge mehr geben werde.

Der Pflichtverteidiger des „Taximörders“ kritisierte die Sicherheitsvorkehrungen. „Es kann und darf nicht sein, dass jemand von dort flüchten kann“, sagte Klaus Frank. Dass die Flucht gelingen konnte, sei auf menschliches Versagen zurückzuführen.

Vor knapp einem Jahr hatte Andrej W. eine Taxifahrerin am Bodensee umgebracht. Eine weitere vergewaltigte und verletzte er schwer. Anfang Februar war er zu lebenslanger Haft verurteilt und wegen krankhafter Sexualvorstellungen und erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden untergebracht worden. Weil der jungenhaft wirkende 29-Jährige als extrem gewaltbereit gilt, gab es für ihn höchste Sicherheitsmaßnahmen.

Nicht nur am Bodensee herrschte am Montag Erleichterung. „Wir mussten davon ausgehen, dass der Taximörder sich ein neues Opfer sucht“, sagte ein Sprecher der Polizei Friedrichshafen. Allein im Bodenseekreis seien rund 40 Beamte zusätzlich im Einsatz gewesen. Sämtliche Bezugspersonen und Taxiunternehmen seien gewarnt worden.

„Das hätte nicht passieren dürfen. Wir waren alle schockiert“, sagte Vera Scharping, Taxiunternehmerin aus Singen. Der Oberbürgermeister der Stadt, Oliver Ehret (CDU), ergänzte: „Eine unerträgliche Angst hatte sich über die gesamte Region gelegt. So etwas ist nicht akzeptabel und darf nie wieder passieren.“

Der Taximörder wurde beim Hofgang, den er zur Flucht nutzte, nicht videoüberwacht. „Wir sind eine Klinik und keine Justizvollzugsanstalt“, sagte dazu Pflegedienstleiterin Bienhaus. Die Ermittler gehen davon aus, dass Andrej W. mit Hilfe einer ausgehängten Toilettentür die dreieinhalb Meter hohe Mauer emporgeklettert ist. Wie er von dort den rund vier Meter hohen und mit Stacheldraht gesicherten Zaun überwunden hat, ist unklar. Möglicherweise sei er von der Mauer aus über den Zaun gesprungen, sagte ein Polizeisprecher. Bei seiner Flucht habe sich der Mann an Armen und Beinen verletzt.

Nach Angaben von Polizeisprecher Harald Kurzer ging der 29-Jährige auf seiner Flucht sehr professionell vor. Neben den Gartenlauben im wenige Kilometer entfernten Baiertal brach er auch ein Auto auf, um an einen Verbandskasten zur Behandlung seiner Verletzungen zu kommen. Die Flucht führte über Dielheim südöstlich von Wiesloch. Eine Zeugin dort habe der Polizei einen Hinweis gegeben, sagte Kurzer. Polizeihunde konnten daraufhin die Fährte des Gewaltverbrechers aufnehmen.

Zwischen Dielheim und dem benachbarten Zuzenhausen verlor sich die Spur zunächst wieder - bis Zivilpolizisten den Gesuchten um 22.35 Uhr entdeckten. Zwar misslang zunächst der Versuch, ihm den Weg abzuschneiden. Nach kurzer Verfolgungsjagd rammten ihn die Beamten dann mit dem Auto und nahmen ihn fest. Andrej W. wurde zunächst unter strenger polizeilicher Bewachung in einer Heidelberger Klinik untersucht. Inzwischen sitzt er wieder in Wiesloch ein. Dort sind zurzeit 217 Patienten stationär in Behandlung, 50 von ihnen im hochgesicherten Bereich.

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