Brauchtum : Stumme Zeitzeugen - Goldene Bücher und was in ihnen steckt
München/Neuburg a.d. Donau (dpa) - 60 Zentimeter hoch, 42 Zentimeter breit, in weißes Schweinsleder gebunden und mit Beschlägen in Goldblech: Das Goldene Buch der Stadt München ist Requisit zahlreicher prominenter Empfänge im Rathaus.
Erzbischof Reinhard Marx hat sich hier ebenso eingetragen wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung verkommt diese extravagante Unterschriftensammlung zur Randnotiz des Protokolls. Für Medien sind die Einträge meist ein Fototermin, inhaltlich spielen sie keine Rolle.
Der historische Ursprung ist nicht ganz klar. Hinweise reichen ins Mittelalter, als italienische Städte Adelsverzeichnisse anlegten. Genannt: Libro d'Oro. Heute verweisen die Besitzer meist auf goldene Verzierungen am Einband oder den Goldschnitt des Papiers - also den gefärbten, hauchdünnen Rand, der nur beim Blick auf das zugeklappte Buch von der Seite richtig zur Geltung kommt. Das ab 1888 geführte Gästebuch der bayerischen Landeshauptstadt hieß zunächst auch bloß „Fremdenbuch“. Der Begriff „Goldenes Buch“ taucht erst 1963 auf.
Heutzutage haben fast alle Kommunen und ebenso die bayerische Staatsregierung Goldene Bücher für herausragende Persönlichkeiten und Anlässe. „Es wird immer individuell angefertigt und sieht nicht überall gleich aus“, erklärt die stellvertretende Chefin des Protokolls der Stadt München, Gabriele Höber.
Mit den Autogrammen werden Goldene Bücher zu schweigenden Zeitzeugen. Ihre Seiten spiegeln historische Ereignisse: ausländische Staatsgäste, erfolgreiche Sportler, weltberühmte Musiker, zurückgekehrte Raumfahrer - sie alle dürfen sich hier verewigen. Seine Signatur auf dem Büttenpapier zu hinterlassen, gilt als Ehre. Eine erhabene Form von „Ich war da“. Statt Kneipenklo-Wandgekritzel ist es wohl vielmehr ein Zeugnisablegen über die eigene Anwesenheit.
So können die Goldenen Bücher auch Grund und Boden für rückblickend wenig erfreuliche Erinnerungen sein. Aus der Münchner Verwaltung heißt es etwa: „Für die gesamte Zeit des Nationalsozialismus gibt es keinen Eintrag, da die entsprechenden Seiten offensichtlich von Unbekannt entfernt wurden.“ In Frankfurt am Main sind die Einträge von NS-Größen wie Adolf Hitler, Hermann Göring und Heinrich Himmler dagegen noch enthalten. Es geht aber erst nach mehreren leeren Seiten weiter - um Abstand zu diesem Kapitel der Geschichte zu wahren.