Spanische Kleinstadt setzt auf „Niemeyer-Effekt“

Madrid (dpa) - Vor 50 Jahren hatte Oscar Niemeyer die Hauptstadt Brasilia am Reißbrett entworfen, nun haucht der Brasilianer einer heruntergekommenen Kleinstadt in Nordspanien ein neues Leben ein.

Der Star-Architekt vermachte dem Städtchen Avilés an der Atlantik-Küste ein spektakuläres Kulturzentrum, das dem von der Stahlkrise gezeichneten Ort zu einem neuen Aufschwung verhelfen soll. Der 103 Jahre alte Niemeyer bezeichnete den Komplex als sein „wichtigstes Bauwerk in Europa“.

Das Niemeyer-Kulturzentrum wird an diesem Wochenende mit einem Festival eröffnet, bei dem der US-Filmregisseur Woody Allen mit seiner New Orleans Band ein Jazz-Konzert gibt. Der strahlend weiße Gebäudekomplex soll Touristen aus aller Welt nach Avilés locken und der Hafenstadt an der Mündung des gleichnamigen Flusses dabei helfen, Niedergang und Depression zu überwinden.

Aber das Zentrum soll nicht nur ein Motor der wirtschaftlichen Erneuerung sein, sondern es erhebt auch den Anspruch, eine feste Größe auf der internationalen Kulturszene zu werden. Drei Jahre vor der Eröffnung hatten die Betreiber sich bereits mit sieben renommierten Einrichtungen wie dem Lincoln Center in New York, dem Centre Pompidou in Paris oder dem Barbican Center in London zusammengetan und eine Kooperation vereinbart. Die spanische Presse sah in dem Zusammenschluss eine „G-8-Gruppe der Kultur“.

Das Niemeyer-Zentrum umfasst auf einer in den Fluss hineinragenden Fläche vier Gebäude. Die Hauptattraktion ist eine Konzerthalle mit 1000 Plätzen, die an eine Welle des Ozeans erinnert und „La caracola“ (die Schnecke) genannt wird. Ein geschwungener Steg führt von hier über einen Platz hinweg zu einer Ausstellungs- und Kunsthalle, die mit ihrer flachen Kuppel wie ein riesiges Ufo aussieht. Ein Turm mit Panorama-Restaurant bietet eine Aussicht auf die Stadt und die Flussmündung. Abgerundet wird das Ganze von einem bogenförmigen Mehrzweckgebäude mit einem Kinosaal und Konferenzräumen.

Avilés mit seinen 85 000 Einwohnern setzt nun darauf, dass der Niemeyer-Komplex einen ähnlichen Effekt erzielt wie das Guggenheim-Museum in Bilbao. Der Bau des Museums hatte in der 240 Kilometer östlich gelegenen Industriestadt wahre Wunder bewirkt. Die Pinakothek lockt nicht nur Kunstinteressierte aus aller Welt in die baskische Metropole, sondern leitete in Bilbao auch eine wirtschaftliche Wiedergeburt ein.

Nach Avilés verirrten sich bislang nur wenige Touristen. Die Stadt, bis heute ein wichtiger Fischereihafen, verfügt zwar über eine beschauliche Altstadt, aber sie verlor infolge des Booms der Metallindustrie in den 50er Jahren viel von ihren Reizen. Stahlfabriken, Aluminium- und Zinkwerke brachten Avilés zeitweise den Ruf ein, eine der am stärksten verschmutzten Städte in Spanien zu sein.

Der Bau des Kulturzentrums war nun ein Geschenk des Himmels. Niemeyer hatte sich dafür erkenntlich zeigen wollen, dass er 1989 mit dem Prinz-von-Asturien-Preis ausgezeichnet wurde, der spanischen Version des Nobelpreises. Als die Stiftung, die den Preis vergibt, 25 Jahre alt wurde, fragte der Brasilianer: „Was tun denn die anderen Preisträger für Euch?“ Daniel Barenboim gebe ein Konzert und Woody Allen drehe einen Film, erhielt er als Antwort. Niemeyer erwiderte: „Ich bin Architekt und schenke Euch ein Bauwerk.“

In der Region Asturien brach daraufhin ein Streit darüber aus, welche Stadt das Niemeyer-Zentrum bekommen sollte. Die Hauptstadt Oviedo, wo die Prinz-von-Asturien-Stiftung ihren Sitz hat, machte sich Hoffnungen. Aber die sozialistische Regionalregierung erteilte der konservativen Stadtverwaltung eine Absage und gab Avilés, der drittgrößten Stadt in der Region, den Zuschlag. Die Bürgermeisterin von Avilés, Pilar Varela, gehört den Sozialisten an.

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