„Für Leib und Seele" Soziales Projekt: Komm Fremder, ich geb’ dir einen Kaffee aus

Für Laura Kaldinski ist der Kaffee oder Tee am Nachmittag ein echter Genussmoment. Den möchte sie auch Menschen ermöglichen, denen eigentlich das Geld dafür fehlt.

Dortmund. Die Kellnerin stellt einen dampfenden Becher Tee auf den Tisch. Laura Kaldinski nimmt die Tasse in beide Hände, schließt die Augen und nimmt einen ersten, vorsichtigen Schluck: „Mmh“. Die Tasse Tee ist für sie „ein echter Genussmoment“, wie sie sagt.

Mit Genuss kennt sie sich aus. Seit knapp zweieinhalb Jahren füllt sie den Foodblog „Für Leib und Seele“ mit Koch- und Backideen. Was ihr bis vor kurzem nicht so richtig bewusst war: Der Genuss eines Tees oder Kaffees im Café ist keine Selbstverständlichkeit. Die Statistiken bestätigen das: Stand April 2017 leben laut Bundesagentur für Arbeit in Deutschland mehr als sechs Millionen Menschen von Hartz IV. Und das ist nicht der einzige Grund, kaum Geld in der Tasche zu haben.

Das wollte sie ändern — und hat vor etwa sechs Wochen ihren Blog zum Namensgeber für ein soziales Projekt gemacht, Infomaterial entworfen, Cafébetreiber angeschrieben. Das Projekt funktioniert so. Wer ins Café geht, ein Käffchen trinkt, ein Stück Kuchen ist, kann diesen Genuss mit anderen teilen — indem er doppelt bezahlt. Zwei Kaffee bezahlen — einen trinken sozusagen. Der zweite Kaffee wird auf einen Gutschein geschrieben, der im Gastraum aufgehängt wird. Kommt nun eine andere Person, eine, die sich selbst keinen Kaffee leisten kann, darf sie den Gutschein einlösen.

Die Idee ist dabei gar nicht so neu. Die ursprünglichste Variante heißt „caffé sospeso“ und kommt aus Neapel. Caffé sospeso bedeutet übersetzt schwebender oder aufgeschobener Kaffee. Während des Ersten Weltkrieges kam es dort immer öfter vor, dass sich Menschen den Kaffee zwischendurch nicht mehr leisten konnten. Ein Unding, betrachteten in Italien viele doch das Kaffeetrinken als eine Art Grundrecht. Also begannen sie, sich gegenseitig den Kaffee zu bezahlen.

Die Idee hat seither Wellen geschlagen. Auch Laura Kaldinski ist nicht die erste, die den aufgeschobenen Kaffee nach Deutschland bringt. Auf der Internetseite „Suspended Coffees Germany“ listet Initiatorin Saskia Rüdiger seit 2013 Cafés und Restaurants in Deutschland, die mitmachen.

Laura Kaldinski hat das Ganze aber noch erweitert. In ihren Augen muss es nicht nur ein Kaffee sein, der aufgeschoben wird. „Kaffee, andere Getränke, Kuchen oder ein Mittagessen — eigentlich egal. Alles außer Alkohol zählt dazu“, sagt sie. Für sie ist es eine Win-Win-Situation: Nicht nur, wer einen Gutschein einlöst, profitiert in ihren Augen. Die Spender nennt sie „Alltagshelden“. Jeder könne einer werden.

Als ihr Projekt für Dortmund immer mehr Form annahm, war sie zuerst nicht sicher, ob Betreiber bereit wären, mitzumachen. Doch die Sorge war unbegründet. Alle, die sie angesprochen hat, seien direkt Feuer und Flamme gewesen. Nicht nur, dass sie damit ohne Aufwand ein tolles soziales Projekt in ihren Gastraum bringen, es tue auch dem Kontakt mit den Gästen gut — viele fragten nach dem Projekt, so komme man ins Gespräch.

Und die Dortmunder nutzen die Gelegenheit — auf beiden Seiten. Im Luups, einem der teilnehmenden Cafés im Westen der Dortmunder Innenstadt hängen bereits einige Zettel. Zudem sind nach Laura Kaldinskis Zwischenstand nach fünf Wochen schon 55 Gutscheine eingelöst worden.

Wer alles einen Gutschein einlösen darf? „Das können Flüchtlinge sein, Obdachlose, aber auch Alleinerziehende, eben die, die kein Geld für einen Cafébesuch übrig haben“, sagt Laura Kaldinski. Eine Kontrolle gebe es nicht — man vertraue darauf, dass die Nutzer ehrlich sind. Sie glaubt, dass das in 99 Prozent der Fälle funktioniert. Immer wieder bekommt sie auch Rückmeldungen. Zum Beispiel von Jürgen, der schon den ein oder anderen Gutschein eingelöst hat. „Das schönste ist hier die Atmosphäre! Hier komm‘ ich mit den Leuten ins Gespräch“, habe er ihr erzählt.

Und das ist es auch, was sie mit dem Projekt erreichen will. „Die finanzielle Hürde hinter einem Cafébesuch schließt diese gesellschaftliche Tür für eine ganze Menge Menschen“, sagt sie. Der Aufgeschobene soll , die Leute herausholen aus ihrem verschlossenen Zuhause und dem Alleinesein, die Tür wieder öffnen zu dem „herzlichen Ort des Miteinanders“, der ein Café für sie ist.

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