Schweinegrippe-Welle in Deutschland: Experten erwarten Tote

Berlin. Eine Welle von Schweinegrippe-Infektionen läuftüber Deutschland. Das Robert Koch-Institut (RKI) rechnet auch mitweiteren Todesfällen. „Die Welle, die wir für den Herbst erwartethaben, hat begonnen“, sagte RKI-Präsident Jörg Hacker am Montag inBerlin.

Neue Todesfälle und schwerere Krankheitsverläufe seien für
die Zukunft nicht auszuschließen.

Hacker wertete es als „Warnsignal“, dass in Deutschland eine vierfache Mutter ohne Vorerkrankungen an Schweinegrippe gestorben ist. Die übrigen fünf Gestorbenen hatten chronische Leiden. Zuletzt registrierte das RKI Ende Oktober rund 3000 Fälle der Neuen Grippe pro Woche. Die meisten Neuinfizierten pro 100 000 Einwohner leben in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.

Mit den spürbar steigenden Krankheitszahlen habe die
Schweinegrippe wieder das Niveau der ersten kleine Welle im Juli und
August erreicht, sagte Hacker. Der Unterschied sei aber, dass die
Oktober-Erkrankungen nicht durch Urlaubsreisen eingeschleppt wurden,
sondern die Patienten sich in Deutschland ansteckt hätten. Die
Zunahme der Fälle werde wahrscheinlich noch eine Weile anhalten.

Insgesamt sind für Deutschland fast 30 000 Schweinegrippe-Fälle
registriert. In der Realität dürften es weitaus mehr sein, da nicht
jeder Kranke zum Arzt geht. Hacker spricht von einer „partiellen
Untererfassung“. In Europa sind bisher 317 Schweinegrippe-Tote
gemeldet, die meisten in Großbritannien. Die normale saisonale
Grippewelle, an der jedes Jahr durchschnittlich 8 000 bis 11 000
Menschen sterben, hat dagegen laut Hacker noch nicht begonnen.

Der Leiter des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn,Prof. Christian Drosten, geht davon aus, dass die Welle von Süden ausin einem Zeitraum von fünf bis sechs Wochen über Deutschlandhinwegziehen werde.

Drosten rief dringend dazu auf, sich gegen dieSchweinegrippe impfen zu lassen. „Bei der Erkrankung handelt es sich umeine schwerwiegende allgemeine Virusinfektion, die erheblich stärkereNebenwirkungen zeitigt als sich irgendjemand vom schlimmsten Impfstoffvorstellen kann.“

Zuverlässige Angaben zur Erkrankungszahl gibt es auch laut Drostennicht. Nicht jeder Patient werde auf Schweinegrippe getestet, da das imGesundheitssystem so nicht zu bezahlen wäre. Die verfügbarenSchnelltests zeigten das neue Virus zudem sehr schlecht an.

Bei der Frage, wer sich unbedingt gegen Schweinegrippe impfen lassensoll, schließt Hacker sich den Empfehlungen der StändigenImpfkommission an: medizinisches Personal, Schlüsselpersonal deröffentlichen Sicherheit und Ordnung, chronisch Kranke und Schwangerenach einer individuellen Beratung. Und die normale Bevölkerung? „Esgibt keine Impfpflicht. Jeder muss selbst wissen, wie er sich zu derImpfung verhält“, sagte Hacker.

Die möglichen Nebenwirkungen wie Reaktionen an der Einstichstelle
oder kurzzeitiges Fieber seien bekannt. Um die Grippewelle
einzudämmen sei es aber günstig, wenn sich viele Menschen impfen
ließen. Hacker selbst geht mit guten Beispiel voran. Er lässt sich
gegen die saisonale Grippe und die Schweinegrippe pieksen. Jeder kann
sich und andere zudem einfach schützen: Häufig die Hände waschen und
nicht in die Hand sondern in die Armbeuge Husten oder Niesen.

Hacker hält die Diskussion um die Schweinegrippe nicht für
Panikmache. „Man muss die Todesfälle sehen“, betonte er. Die enge
Verbindung zwischen Pharmaindustrie und Impfkommission sieht er nicht
als kritikwürdig an. „Impfstoffe müssen produziert werden“, sagte er.


Ohne eine „Interaktion“ mit Wissenschaftlern, die das Virus bewerten,
sei das nicht möglich. „Die Verbindungen zu Unternehmen werden
transparent gemacht“, betonte der RKI-Präsident. Beim Anschein von
Befangenheit würden Mitglieder der Kommission bei Besprechungen den
Raum verlassen.

Trotz der steigenden Erkrankungszahlen hat Hacker aber auch gute
Nachrichten: Das Virus-Erbgut hat sich nach wie vor nicht verändert.
In Deutschland hätten 400 Tests auch keine Virus-Varianten entdeckt,
die gegen das Mittel Tamiflu resistent sind.

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko bat angesichts derschweren Schweinegrippe-Epidemie in seinem Land die internationaleGemeinschaft um Hilfe. Die Krankheit werde zu einer Bedrohung dernationalen Sicherheit, schrieb der Staatschef an die EU sowiebenachbarte Länder.

Experten der Weltgesundheitsorganisation WHObegannen am Montag in dem Land damit, den Hilfsbedarf zu ermitteln. DieGrippe hat nach Regierungsangaben bislang fast 70 Menschen getötet,255 000 Menschen seien erkrankt. In Italien ist die Zahl derSchweinegrippetoten auf 14 gestiegen, 8 davon starben in Neapel.

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