Schalke 04-Chef Clemens Tönnies: Ehrgeizig? „Wie verrückt“

Clemens Tönnies lässt jedes Jahr 16 Millionen Schweine schlachten. Zu Besuch beim Fleischbaron und Schalke-Chef.

Gelsenkirchen. Die letzten Meter sind düster. Zwischen Betonwänden und Eisengittern trippeln die Schweine vom Laster zur Schlachtung. Es riecht nach Tier und Kot. Die Schweine laufen in kleinen Gruppen die Gänge entlang. Forschungen haben ergeben, dass sie dann entspannter sind.

„Das erste Mal?“, fragt der Mann mit den weißen Gummistiefeln und dem weißen Kittel beinahe beiläufig. Auf der Brusttasche steht gestickt: Hr. Tönnies. Clemens Tönnies ist der Chef des Fleisch-Giganten Tönnies im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück, vielen besser bekannt als Vereins-Boss auf Schalke.

Clemens Tönnies hat mit 15 eine Lehre als Metzger begonnen. Sein Vater hatte einen kleinen Fleischerbetrieb in Rheda, „der war da schon wirtschaftlich am Ende“. Der vier Jahre ältere Bruder Bernd hatte seine Lehre und sein Gesellenjahr bereits hinter sich und machte sich in den elterlichen Räumen selbstständig.

„Du machst mit“, sagte Bernd damals, und Clemens machte mit. „Ich wusste zwar nicht, was das heißt, selbstständig machen, aber es hörte sich gut an“, erinnert sich der 56-Jährige. „Mit 20 bin ich weggegangen und hab’ in Kulmbach Fleischtechnik studiert.“ 1979/80 steigt er dann richtig ins Unternehmen ein.

Die Gruppe Schweine wird von einer Sperre aufgehalten. Sind es sechs oder sieben, schließt sich hinter ihnen ein Gitter. Das Gedränge wird stärker, die Unruhe wächst. Eines quiekt, ein anderes entleert seinen Darm. Dann schiebt das Gitter die Tiere in eine Art Paternoster. Im nächsten Moment sind sie aus dem Blickfeld verschwunden.

Die Brüder bauen ein rasant wachsendes Unternehmen auf. Ihr Verhältnis ist nicht immer frei von Spannungen. Es geht auch um Anteile am Geschäft. „Wir waren Brüder, wir haben uns geliebt, und wir haben uns geprügelt. Wie das so ist“, sagt Clemens Tönnies. Jetzt streitet er mit seinem Neffen um Anteile.

Im Paternoster geht es für die Schweine 13 Meter in die Tiefe. „110 Sekunden Kohlendioxid, und die Tiere sind betäubt und tief bewusstlos“, sagt Clemens Tönnies. Wenn sie wieder nach oben kommen, hängen sie schon mit einem Hinterbein an einem Fördersystem.

Bernd stirbt 1994, mit 42 Jahren. Clemens übernimmt, das Unternehmen wächst. Heute hat die Tönnies-Gruppe einen Jahresumsatz von fünf Milliarden Euro. Sie ist größter Fleischproduzent Deutschlands. In den Tönnies-Werken, sieben in Deutschland und eines in Dänemark, arbeiten 8000 Menschen.

Bernd Tönnies war Präsident des Fußball-Bundesligisten Schalke 04. „Kümmere dich um Schalke, sagte mein Bruder kurz vor seinem Tod“, erzählt Clemens. Also kümmert sich der jüngere Bruder. Er zieht in den Aufsichtsrat ein. 2001 setzt er sich gegen den Amtsinhaber, den 2003 verstorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann, durch und übernimmt den Vorsitz.

Auf Schalke Chef zu sein, ist für Clemens Tönnies kein Opfer. In seinem neuen Verwaltungsgebäude in Rheda ist eine ganze Wand mit einem riesigen Bild der Schalker Umkleidekabine dekoriert. Sein Vorbild in der Fußballwelt ist Bayern-Präsident Uli Hoeneß, auch er ist in der Fleischbranche tätig. Was haben Fußball und Fleisch gemeinsam? „Die ungeheure Kraft.“

„Solange das Herz schlägt, ist es ein Tier. Danach ist es Material“, sagt Clemens Tönnies. Das Material erreicht die nächste, weiß geflieste Station. An einer Fließbandanlage stehen die Metzger.

16 Millionen Schweine im Jahr werden in den Werken von Tönnies geschlachtet. Allein die Anlage in Rheda-Wiedenbrück hat eine Kapazität von 140 000 Schweinen in der Woche. Im Zwei-Schicht-Betrieb, fünf Tage die Woche, bedeutet das rechnerisch 28 000 am Tag. Dazu kommen in den anderen Werken 270 000 Rinder, ausschließlich aus Deutschland. „Wir produzieren unter Volllast“, sagt Tönnies zufrieden.

Pferdefleisch sucht man hier vergebens. „Inline“ heißt das Zauberwort. Die Schweine werden lebend angeliefert, Verwechslung ausgeschlossen. Von der Anlieferung bis zum Versand des Koteletts für die SB-Theke vergehen 24 Stunden. „Die Skandale sind ein großer Imageschaden für die Branche“, sagt Tönnies, „aber für uns gut. Wir hatten nach jedem Skandal mehr Umsatz.“

Hundert Prozent Rückverfolgbarkeit verspricht die Tönnies-Gruppe. Vor der Schlachtung bekommt das Schwein eine Nummer eintätowiert. An diversen Verarbeitungsstationen werden die Daten jedes Tieres erfasst. Ein Chip im Haken, an dem die Schweinehälfte hängt, speichert die Daten und sendet sie weiter.

Alle wichtigen Daten aus dem Schlachthof landen in Echtzeit auch beim Landesamt für Verbraucherschutz. Die Bauern, die Schweine angeliefert haben, können die Daten „ihrer“ Tiere ebenfalls abrufen. Für die Verbraucher hat Tönnies „fTrace“ entwickelt. Mit einer App kann das Smartphone im Laden den „Dotmatrix-Code“ einlesen, und der Kunde erfährt zum Beispiel, aus welcher Gegend das Tier kommt und wann es geschlachtet wurde.

Über den Familienstreit mit seinem Neffen Robert spricht Tönnies nicht gern. Der hat ihn verklagt. Derzeit halten beide 50 Prozent der Anteile. Robert fordert weitere zehn Prozent und hätte dann die Mehrheit. Die Fronten sind verhärtet.

„Ich hänge nicht an der Führung des Unternehmens“, sagt Clemens Tönnies. Das klingt nicht wirklich überzeugend, denn auf die Frage, ob er ehrgeizig sei, antwortet er freimütig: „Wie verrückt.“ „Mein ehrgeizigstes Ziel ist, dass Schalke 04 Deutscher Meister wird.“ Wann das sein wird? „Bald!“, versichert er.

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