Schadensersatz für Ex-Förderschüler

Der heute 21-jährige Nenad M. aus Köln musste seine Schulzeit an einer Sonderschule verbringen — obwohl es Indizien gab, dass er dort unterfordert war.

Schadensersatz für Ex-Förderschüler
Foto: dpa

Köln. Eigentlich ist es nur eine Gerichtsentscheidung, aber für Nenad M. ist es mehr. Der 21-Jährige nennt es ein „Gefühl von Freiheit“, das er nun empfinde. Er spricht von „Trost“. Aus seiner Sicht wurde gestern am Landgericht Köln etwas sehr Grundsätzliches festgestellt: „Dass ich doch nicht geistig behindert bin“, sagt er. Denn obwohl er das ja selbst eigentlich wisse: Die Zweifel hätten ihn verfolgt nach allem, was passiert sei. „Manchmal in den Träumen.“

Das Landgericht Köln hat gestern entschieden, dass Nenad M. als zu Unrecht auf eine Förderschule für geistige Behinderung geschickter junger Mann Anspruch auf Entschädigung durch das Land hat. NRW habe seine Amtspflichten verletzt und hafte für die fehlerhafte Beschulung des heute 21-Jährigen. Über die Höhe der Entschädigung wurde noch keine Entscheidung getroffen. Ein Signal ist es trotzdem. Der frühere Förderschüler hatte rund 40 000 Euro Schaden aufgrund von Verdienstausfällen geltend gemacht.

Nenad M. hatte bis zu seinem 18. Lebensjahr eine Förderschule für geistige Behinderung besucht, zunächst in Bayern, nach einem Umzug dann in Köln. Dort fühlte er sich aber vollkommen unterfordert. Das Land verklagte er, weil er sich zu Unrecht an der Förderschule festgehalten sah. Immer wieder habe er vergeblich um einen Schulwechsel gebeten. Man habe erkennen können und müssen, dass der Förderschwerpunkt geistige Entwicklung falsch gewesen sei.

Da es nicht zu dem Schulwechsel kam, seien seine Chancen verbaut worden, unter anderem die Möglichkeit, früher seinen Hauptschulabschluss zu machen und eine Ausbildung zu beginnen. Den Hauptschulabschluss holte er erst später als einer der Klassenbesten auf einem Berufskolleg nach.

Das Landgericht urteilte, dass der Schule in Köln bei einer jährlichen Überprüfung tatsächlich hätte auffallen müssen, dass kein Förderbedarf mehr im Bereich der geistigen Entwicklung bestand. Bereits beim ersten Zeugnis im Juni 2009 — nach seinem Wechsel nach Köln — habe es genügend Anhaltspunkte für eine Untersuchung gegeben. Die in Bayern im Jahr 2004 getroffenen gutachterlichen Feststellungen hätten dann keine Grundlage mehr darstellen können. Der heute 21-Jährige war dort als geistig behindert eingestuft und auf eine Sonderschule geschickt worden. Er sprach damals kaum Deutsch. Seine Familie stammt aus Serbien. Bei dem Test war kein Dolmetscher dabei.

Heute jobbt der 21-Jährige in einem Supermarkt, er will eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann machen. Aber die Bewerbungen seien nicht einfach — wenn er in den Lebenslauf schreibe, auf einer Schule für geistige Behinderung gewesen zu sein, wirke sich das negativ aus. Neben Schadenersatz fordert er auch ein Schmerzensgeld.

Der Elternverein „Mittendrin“, der sich für Inklusion einsetzt und den 21-Jährigen unterstützte, forderte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) auf, die Förderschulen nun auf weitere Fälle dieser Art zu überprüfen. Es handele sich nicht um einen Einzelfall. Das Land kann gegen das Urteil Berufung einlegen. Rechtskräftig ist es noch nicht.

Man werde die Urteilsbegründung sorgfältig auswerten, hieß es aus dem Schulministerium. Seit 2014 räume das Schulgesetz Eltern allerdings einen Rechtsanspruch ein, sich für eine Förderschule oder eine allgemeine Schule zu entscheiden. Das gelte mittlerweile für nahezu alle Jahrgänge der Pflichtschulzeit.

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